Das Glasperlenspiel
sehr bald nicht mehr in Ordnung sein, denn wir brauchen dich. Du weißt, daß du auch später, ja noch in den höchsten Ämtern unsrer Behörde, Urlaube zu Studienzwecken bekommen kannst, wenn du die Behörde vom Wert dieser Studien zu überzeugen vermagst; mein Vorgänger und Lehrer hat zum Beispiel noch als Magister Ludi und alter Mann ein volles Jahr Urlaub für seine Londoner Archivstudien erbeten und bekommen. Aber er bekam seinen Urlaub nicht für›eine Weile‹, sondern für eine bestimmte Zahl von Monaten, Wochen, Tagen. Damit wirst du künftig rechnen müssen. Und jetzt habe ich dir einen Vorschlag zu machen; wir brauchen einen verantwortlichen Mann, den man außerhalb unsres Kreises noch nicht kennt, für eine besondere Mission.«
Es handelte sich um folgenden Auftrag: das
Benediktinerkloster Mariafels, eine der ältesten Bildungsstätten des Landes, das mit Kastalien freundschaftliche Beziehungen unterhielt und namentlich seit Jahrzehnten dem Glasperlenspiel zugetan war, hatte gebeten, ihm für einige Zeit einen jungen Lehrer zur Einführung in das Spiel wie auch zur Anregung der paar fortgeschrittenern Spieler des Klosters zu überlassen, und die Wahl des Magisters war auf Josef Knecht gefallen. Darum hatte er ihn so behutsam geprüft, darum seinen Eintritt in den Orden beschleunigt.
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Zwei Orden
In mancher Beziehung war es nun wieder ähnlich um ihn bestellt wie einst in seiner Lateinschülerzeit nach dem Besuch des Musikmeisters. Daß die Berufung nach Mariafels eine besondere Auszeichnung und einen tüchtigen ersten Schritt auf der Stufenleiter der Hierarchie bedeute, hätte Josef kaum gedacht; er konnte es aber, nun immerhin wacheren Auges als damals, deutlich am Verhalten und Gehaben seiner
Kommilitonen ablesen. Gehörte er seit einiger Zeit innerhalb der Elite der Glasperlenspieler zum innersten Kreise, so war er jetzt durch den ungewöhnlichen Auftrag vor allen gekennzeichnet als einer, den die Oberen im Auge haben und dessen sie sich zu bedienen gedenken. Die Kameraden und Mitstrebenden von gestern zogen sich nicht gerade zurück oder wurden
unfreundlich, dafür ging es in diesem hocharistokratischen Kreise viel zu manierlich zu, aber es entstand eine Distanz; der Kamerad von gestern konnte der Vorgesetzte von übermorgen sein, und solche Stufungen und Differenzierungen im
gegenseitigen Verhältnis verzeichnete dieser Kreis mit den zartesten Schwingungen und brachte sie zum Ausdruck.
Eine Ausnahme machte Fritz Tegularius, den wir nächst Ferromonte wohl den treuesten Freund im Leben Josef Knechts nennen dürfen. Dieser seinen Gaben nach zum Höchsten bestimmte, durch einen Mangel an Gesundheit, Gleichgewicht und Selbstvertrauen aber schwer behinderte Mann war gleichen Alters wie Knecht, um die Zeit von dessen Aufnahme in den Orden also gegen vierunddreißig Jahre, und war ihm vor etwa zehn Jahren bei einem Glasperlenspielkurs das erstemal begegnet, und Knecht hatte schon damals gespürt, wie sehr dieser stille und etwas melancholische Jüngling sich zu ihm hingezogen fühlte.
Mit seinem Spürsinn für Menschen, der ihm, wennschon
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unbewußt, auch damals schon eigen war, erfühlte er auch die Wesensart dieser Liebe; sie war eine zur bedingungslosen Hingabe und Unterordnung bereite Freundschaft und Verehrung, von einer Schwärmerei beinahe religiösen Charakters
durchglüht, aber durch innere Vornehmheit und auch durch ein ahnungsvolles Gefühl der innern Tragik beschattet und in Schranken gehalten. Damals noch von der Designori-Epoche her erschüttert und sensibel, ja mißtrauisch gemacht, hatte Knecht diesen Tegularius mit konsequenter Strenge in Distanz gehalten, obwohl auch er sich von dem interessanten und ungewöhnlichen Kameraden angezogen fühlte. Zur Charakterisierung diene uns ein Blatt aus den amtlichen Geheimaufzeichnungen Knechts, wie er sie um Jahre später zur ausschließlichen Verfügung der obersten Behörde führte. Es heißt da:
»Tegularius. Dem Referenten persönlich befreundet.
In Keuperheim mehrfach ausgezeichneter Schüler, guter Altphilologe, stark philosophisch interessiert, arbeitete über Leibniz, Bolzano, später Plato. Der begabteste, glänzendste Glasperlenspieler, den ich kenne. Er wäre der prädestinierte Magister Ludi, wäre nicht, im Zusammenhang mit seiner zarten Gesundheit, sein Charakter dazu vollkommen ungeeignet. T.
darf niemals zu einer leitenden, repräsentativen oder organisatorischen Stellung gelangen, es wäre für ihn und für
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