DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL: Roman (German Edition)
sich.
"Na, prima", murmelte sie. "So viel zum Thema Marktwert."
Langsam fiel es ihr wieder ein. Der auf der Restauranttoilette gefasste Entschluss, die Verabredung unter einem fadenscheinigen Vorwand vorzeitig abzubrechen, und die Wirkung des Rotweins, zu dem sie sich dann doch hatte überreden lassen, und der nicht so recht zu ihrem Entschluss passen wollte. Nach und nach hatte sie sich in ein Gespräch über skurrile Arbeitskollegen verwickeln lassen, das in unerwartet amüsante Anekdoten über den Knoblauchkonsum ihres Vorgesetzten Herrn Volkmann und die Kleiderwahl der Büronachbarin von Detlef übergegangen war.
Dennoch schienen ihre Erinnerungen nicht so recht zu ihrer Stimmung zu passen. Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können? Auf einen Mann, den sie noch nie zuvor getroffen hatte? Sie erinnerte sich an den übermächtigen Wunsch, die trostlose Lethargie für ein paar Stunden zu verdrängen. Sich selbst zu verdrängen. Doch mit jeder erwachenden Faser ihres Körpers schämte sie sich für ihre Anwesenheit im Bett eines Fremden.
Nur weg von hier! Bevor er wach wurde. Bevor er Fragen stellen konnte, auf die sie keine Antwort geben wollte.
"Guten Morgen", hörte sie eine verschlafene Stimme hinter sich, als sie das Kleid über ihre Arme streifte. "Du willst doch nicht etwa schon gehen?"
"Ich muss", antwortete sie allgegenwärtig. "Komme zu spät zur Arbeit. Und ich muss vorher noch nach Hause, mich umziehen."
"Ach, so ein Tag im Abendkleid ist doch auch nicht zu verachten", antwortete er lächelnd.
"Es war ein netter Abend." Sie schlüpfte in ihre Schuhe und erhob sich vom Bett. "Aber jetzt hat mich der Alltag wieder. Und der bewältigt sich nun mal am allerbesten in Alltagsklamotten mit Alltagsfrisur und Alltagskaffee."
"Also, wenn es dir um den Kaffee geht, den kann ich dir auch anbieten. Ich habe umwerfenden Cappuccino da. Du wirst ihn lieben." Er setzte sich aufrecht und gab damit den Blick auf sein Unterhemd frei. Blitzartig wurden die Eindrücke des Vorabends in ihr wach. Ihr Blick wanderte zu dem grünen Hemd, das auf dem Läufer neben dem Bett lag. Eine leere Flasche Wein auf dem Tisch unter dem Fenster.
"Das ist wirklich nett", antwortete sie schnell. "Aber ich muss los."
Noch bevor er sich regen, geschweige denn etwas antworten konnte, griff sie nach ihrer Tasche und verließ das Zimmer. Nur zwei Schritte bis zur Ausgangstür, die sie mit einem lauten Schlag hinter sich ins Schloss fallen ließ.
*
"Was hab ich gesagt?" Claudia lehnte sich an das Bücherregal. "Ein bisschen Ablenkung wird dir guttun."
"Über die Ablenkung, die es mir letzte Nacht gebracht hat, kann ich leider nicht mehr allzu viel sagen", antwortete Nita und schob das Schild mit der Aufschrift Romane X-Z an der Kante des Regals entlang. "Heute ist allerdings bis auf Scham und Reue nicht viel übrig geblieben."
"Ich bin stolz auf dich. Du hast dich wieder ein stückweit für die Welt geöffnet, und das allein zählt. Es ist dein erster Schritt in ein neues Leben."
"Ein neues Leben?" Nita holte ein Buch aus der Kiste zu ihren Füßen und stellte es in das Regal.
"Ja, natürlich. Langsam zwar, aber Schritt für Schritt wirst du es schaffen."
"Nur weil ich mit diesem Typen im Bett gelandet bin, heißt das nicht, dass ich ein neues Leben begonnen habe, Claudia. Im Gegenteil, es erinnert mich nur noch deutlicher daran, wie absurd die Idee war, mich zu dieser Verabredung überreden zu lassen."
"Aber es war doch schön. Oder etwa nicht?"
"Wie gesagt, wir haben viel getrunken, und meine Erinnerung ist nicht mehr sehr deutlich."
Sie schämte sich, darüber zu reden - sogar vor ihrer besten Freundin. Dennoch erkannte sie die Abgestumpftheit, in der sie Dinge preisgab, die sie noch vor einem Jahr mit niemandem geteilt hätte. Auch nicht mit Claudia. Die Intimität zwischen ihr und Patrick war ihr heilig gewesen, wertvoller als alles andere, während sie die Details aus der Nacht mit Detlef nur deshalb für sich behielt, weil sie sie so schnell wie möglich vergessen wollte.
"Und? Wann seht ihr euch wieder?"
"Wann wir uns wieder sehen?" Nita konnte sich ein zynisches Lachen nicht verkneifen. "In diesem Jahrtausend vermutlich nicht mehr."
"Nita." Der milde Tadel in Claudias Blick war ihr vertraut.
"Ich weiß nicht, was du erwartet hast, Claudia. Aber für mich war das eine einmalige Sache, die ich so schnell wie möglich ausblenden möchte."
"Aber es könnte neuen Schwung in dein Leben bringen. Abwechslung.
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