Das Glück wartet in Virgin River
Blick auf Streaks Box. „Da scheint einer zu fehlen.“
„Oh, der. Dad ist mit ihm unterwegs.“
„Wirklich?“, fragte sie erstaunt. „Er hat ihn gesattelt?“
Gabe nickte. „Sonderlich begeistert war er nicht. Gestern hat Dad ihm den Sattel aufgelegt und bloß longiert, und schon das war kritisch. Ich kann nur hoffen, dass Dad dazu kommt, auch wieder zurückzureiten.“ Gabe kicherte.
„Gut möglich, dass er laufen muss“, meinte sie.
„Es wäre nicht das erste Mal. Er hatte auch früher schon mit dem einen oder anderen schwierigen Pferd zu tun.“
„Schwieriger als Streak?“
„Streak ist doch ein Softie. Zu Hause haben wir sie manchmal aus den Bergen geholt. Da waren ein paar Hengste dabei, dieschon mal jemanden gekillt hatten. Fünfhundert Kilo schwere Gewaltverbrecher.“ Und wieder war da dieses jungenhafte Grinsen. Er war ein so hübscher Junge. Heute hatte er seinen langen Pferdeschwanz zu einem Zopf geflochten, wohl um zu verhindern, dass ihn die Haare bei der Arbeit störten.
„Muss ja ein interessantes Leben sein bei euch daheim.“
Darauf zuckte er nur die Achseln, stellte seine Mistgabel an die Wand, strich sich ein paar schwarze Haare aus dem Gesicht und sagte: „Wahrscheinlich war es für mich einfach selbstverständlich, weil ich ja sonst nicht viel kenne. Wir haben hart gearbeitet, viel gespielt und viel gelernt. Mein Großvater ist ein sehr anspruchsvoller Mann. Er erwartet viel von einem.“
„Und was ist mit deinen Eltern? Erwarten die auch viel von dir?“
Klaren Blickes und ohne verlegen zu werden, antwortete er: „Da war immer nur mein Dad. Meine Mom habe ich nicht mal zu Gesicht bekommen, bis ich zwölf war, und dann auch vor allem nur deshalb, weil mein Stiefvater wollte, dass ich meine jüngeren Brüder kennenlerne. Sie wohnen in Scottsdale. Er ist Fußpfleger. Mein Dad sagt immer Hühneraugenschäler.“
„Dann hat deine Mutter dich also gar nicht großgezogen?“ Die Frage rutschte ihr heraus, bevor sie sich bremsen konnte. Gut möglich, dass sie sogar etwas rot wurde; sie wusste, dass sie zu viele Fragen stellte. Zu viele persönliche Fragen.
Gabe schien das nicht zu stören. Er nahm die Mistgabel, kam aus der Box heraus und schloss die Tür hinter dem Pferd. Während er die Mistgabel wegbrachte, redete er weiter. „Nein, meine Mutter nicht. Meine Eltern sind miteinander gegangen, bis ihre Eltern sie getrennt hatten. Sie wollten nicht, dass ihr kleines Mädchen sich mit so einem Navajo aus der Nation einließ. Dann hat sich aber herausgestellt, dass meine Mom schwanger war. Ihre Eltern hielten alles unter Kontrolle und haben ihr nicht erlaubt, ihn anzurufen. Sie hatten sogar schon eine Adoption für mich arrangiert, aber dann hat mein Dad davon Wind bekommen, und so leicht wollte er mich nicht aufgeben. Sein Dad und seine Onkel haben ihn dabei unterstützt, er erhielt rechtlicheHilfe vom Reservat und hatte praktisch einen ganzen Stamm von Kriegern hinter sich. Also haben sie mal einen Besuch dort gemacht und sich auf einen Kampf eingestellt. Grandpa hat mir erzählt, dass sie legal nicht damit rechnen konnten, mich in die Hände zu bekommen, bevor ich zwei oder drei Jahre alt gewesen wäre, aber dann haben meine Großeltern mütterlicherseits aufgegeben. Sie wussten, dass sie am Ende verlieren würden.“ Achselzuckend fügte er hinzu. „Also hat mein Dad mich zwei Tage nach meiner Geburt auf die Ranch der Tahomas heimgeholt, und bis letzte Woche habe ich dort gelebt. Jetzt wohne ich hier bei meiner Tante und meinem Onkel und ihrer Familie. Ich gehe zur Schule und arbeite bei meinem Dad.“
Lilly stand beinahe der Mund offen. Sie war wie vom Donner gerührt. „Das muss … das muss schwer für dich gewesen sein.“
„Für mich?“, fragte er lächelnd. „Bei meiner Grandma, meinem Grandpa, Dad, Tanten, Onkeln und Cousins? Ich finde, ich hatte es super gut.“
„Hat dein Dad denn nicht gesagt, dass er nicht so oft bei dir war…“
„Ach, das sagt er nur, weil er sich schuldig fühlt. Aber dazu gibt es keinen Grund. Er ist weggegangen, als ich ungefähr elf Jahre alt war. Das musste er.“
„Musste er?“
„Er war als Hufschmied von seinem Vater und seinen Onkeln ausgebildet worden, aber im Reservat verdient ein Hufschmied kaum genug zum Überleben. Er wollte sich einen Namen machen, um wirklich Geld verdienen zu können. Und das hat er geschafft. Er war viel unterwegs und hat auf den Ranches gute Arbeit geleistet. Dann erhielt er aus L. A. das
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