Das goldene Ufer
geben. Der Junge hat ihm das Leben gerettet. War übrigens ein Mordsschuss, den du abgegeben hast, Kleiner. Hätte es nicht besser gekonnt.« Der Feldwebel klopfte Walther anerkennend auf die Schulter.
Der Quartiermeister lächelte und schob Walther einen kleinen Käse und eine halbe Wurst hin. »Eine halbe Portion für eine halbe Portion!«, sagte er dabei.
»Ist das nicht etwas wenig für einen hungrigen Jungen?«, fragte der Feldwebel knurrig. »Außerdem könntest du mir auch etwas Wurst und Käse zukommen lassen.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle der Quartiermeister ihm eine patzige Antwort geben. Dann aber reichte er dem Unteroffizier noch einmal so viel, wie er Walther gegeben hatte. »Ich will ja nicht so sein. Aber dafür habe ich etwas bei dir gut, verstanden?«
»Klar!« Der Feldwebel trat ein paar Schritte beiseite und begann gierig zu essen.
Auch Walther biss von dem Käse und von der Wurst ab. Beides schmeckte scharf, und er wünschte sich einen Schluck Wasser, um seinen Schlund zu kühlen. Doch es gab nichts zu trinken, und einen Bach zu suchen, wagte er nicht aus Angst, das Wasser könnte vom Blut rot gefärbt sein. Während er kaute und den Bissen dabei kaum einspeicheln konnte, hörte er auf einmal einen wütenden Schrei.
»Lässt du meinen Mann in Ruhe!«
Das war die Wachtmeisterin. Dann vernahm er Giselas Stimme, die in einem Entsetzensschrei endete.
Walther sprang auf, schnappte sich eine Fackel und rannte los. Das Käsestück, das er halb aufgegessen hatte, flog zu Boden, und es gelang ihm gerade noch, die angebissene Wurst in eine Tasche seines Uniformrocks zu stecken.
Mehrere Kameraden folgten ihm. Auch wenn Reint Heurich und einige andere Walburga Fürnagl und deren Mann wegen ihres katholischen Glaubens gemieden hatten, so gehörte die Familie doch zu ihrem Regiment.
Giselas Schrei schien noch lauter und gellender zu werden. Der Junge rannte trotz des aufgewühlten Bodens so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gelaufen war, und erreichte als Erster das Mädchen. Eine Fackel steckte im Boden und erhellte eine gespenstische Szenerie. Ein Mann in einem roten Uniformrock mit pulvergeschwärztem Gesicht hatte sich über den toten Wachtmeister gebeugt und plünderte ihn aus. Daneben lag die Wachtmeisterin in ihrem Blut, während Gisela entsetzensstarr daneben kniete.
Als der Engländer Walthers Schritte hörte, fuhr er hoch. Zuerst packte er seinen Dolch, an dem noch das Blut der ermordeten Frau klebte, dann aber bemerkte er die Soldaten, die Walther folgten, und rannte los. Doch da war Walther schon heran und warf sich mit einem wütenden Ruf auf ihn. Der Dolch zuckte auf ihn zu, doch der Junge wich geschickt aus, packte den Arm des Mannes und biss ihn mit aller Kraft ins Handgelenk.
Mit einem Schmerzensruf ließ der Engländer den Dolch fallen, schlug aber gleichzeitig mit der anderen Hand zu. Walther musste einige derbe Hiebe einstecken, doch dann waren seine Kameraden da und rangen den Plünderer nieder.
Walther brauchte einen Augenblick, bis er sich von den Schlägen des Engländers erholt hatte. Dann kniete er neben der Wachtmeisterin nieder. »Sie ist tot«, sagte er fassungslos.
»Der da hat sie umgebracht!«, flüsterte Gisela mit ersterbender Stimme.
Da hob ihre Mutter mit einem Mal den Kopf und sah sie an. »Meine Kleine, der Vater ruft mich! Ich muss dich allein lassen.«
»Nein!« Das Mädchen wollte zu ihr laufen, doch einer der Soldaten fing sie auf und drückte sie Walther in die Arme.
»Kümmere dich um sie! Wir bringen die Frau zum Lager. Vielleicht kann der Regimentschirurg noch etwas für sie tun!«
Zwei Männer bastelten aus vier Musketen und zwei Uniformröcken eine Trage und legten die Wachtmeisterin darauf, während zwei weitere den Plünderer fesselten und mitschleppten.
Im Lager war man bereits auf den Zwischenfall aufmerksam geworden, und viele kamen neugierig herbei.
Der Oberst blickte düster auf die schwerverletzte Frau, während der Regimentschirurg sie untersuchte. Dieser winkte schon nach wenigen Augenblicken ab. »Da ist nichts mehr zu machen, Herr Oberst. Es ist ein Wunder, dass die Frau überhaupt noch lebt!«
»Es geschieht aus Gnade der Heiligen Jungfrau«, flüsterte die Verletzte. »Sie will, dass ich mein Kind noch einmal segnen kann. Gisela ist jetzt allein, und es gibt niemand, der sich um sie kümmern wird. Das bricht mir das Herz.«
»Ich werde es tun!« Die Worte kamen Walther über die Lippen, ehe er darüber
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