Das goldene Ufer
noch die Form wahren. »Diese Leichenfledderin, wie du sie nennst, hat nach ihrem verschollenen Ehemann gesucht und dich dabei überrascht, wie du ihn ausgeplündert hast. Damit steht deine Schuld unzweifelhaft fest. Du wirst dafür zum Tod durch den Strang verurteilt.«
»Ganz meine Meinung«, stimmte der Hauptmann der ersten Kompanie seinem Kommandeur zu.
Da sich auch die übrigen Offiziere für die Hinrichtung des Mörders aussprachen, erteilte Renitz dem Geistlichen den Wink, mit dem Gefangenen ein letztes Gebet zu sprechen. Dies gestaltete sich allerdings schwierig, weil Spencer kaum des Deutschen mächtig war und der Pastor kein Wort Englisch sprach. Außerdem hatte der Gefangene in der Ferne mehrere Reiter in roten Uniformröcken entdeckt, die auf die Gruppe zuhielten, und tat nun alles, um Zeit zu schinden.
Als Renitz dies begriff, rief er zornig: »Nehmt einen Strick und hängt den Kerl auf. Soll er doch zur Hölle fahren!«
Bevor dieser Befehl befolgt werden konnte, mischte sich der englische Major ein, der mit einer zehnköpfigen Begleitmannschaft quer durchs Lager auf den Oberst zuhielt. »Ich habe erfahren, dass Sie einen meiner Männer gefangen genommen haben, Sir«, sagte er in einem Ton, als hätten Renitz und dessen Männer eine Todsünde begangen.
Der Oberst blickte zu dem Engländer auf, der hoch zu Ross auf ihn herabsah und keine Anstalten machte, abzusteigen. Er schüttelte den Kopf. »Wir haben einen Leichenfledderer und Mörder gefangen und werden ihn nach Recht und Gesetz richten.«
»Darf ich Sie darauf hinweisen, dass es das alleinige Recht der Armee Seiner britischen Majestät, King George, ist, über Angehörige ihrer Truppen zu richten? Daher fordere ich Sie auf, mir den Soldaten Nicodemus Spencer sofort zu übergeben!«
Einem höherrangigen Offizier gegenüber war der Ton des Engländers nicht angemessen. Aber Oberst Renitz war durch den langen Krieg und das Elend, das dieser nach sich gezogen hatte, ausgelaugt und hatte keine Kraft mehr, sich dieser Unverschämtheit zu erwehren. Dennoch versuchte er, seinen Standpunkt zu vertreten.
Der englische Major hörte ihm zwei Sätze lang zu und hieb dann mit seiner Reitpeitsche durch die Luft. »Ich habe nicht die Zeit, mir irgendwelche Vorträge anzuhören. Entweder Sie übergeben mir auf der Stelle den Gefangenen, oder ich muss meinen Vetter Wellington davon in Kenntnis setzen, dass Seiner britischen Majestät nicht die Achtung entgegengebracht wird, die ihr gebührt. Eine Beschwerde bei Feldmarschall Blücher und dem König von Preußen wäre die Folge!«
»Am liebsten würde ich diesen aufgeblasenen Burschen vom Pferd holen und durchprügeln«, murmelte einer der Soldaten in Walthers Nähe.
Walther sah, wie es im Gesicht des Obersts arbeitete, und bemerkte auch die erwachende Hoffnung bei Walburga Fürnagls Mörder. Bei seinen eigenen Leuten würde der Kerl mit seiner Geschichte, er habe nur eine Leichenfledderin aufhalten wollen, gewiss durchkommen. Walther prägte sich das hagere Gesicht des Mannes mit dem fliehenden Kinn und den eng zusammenstehenden, wasserhellen Augen genau ein, ebenso die überhebliche Miene des englischen Majors. Dabei fragte er sich, ob die Drohungen, die dieser ausgesprochen hatte, der Wahrheit entsprachen oder sie Oberst Renitz nur verunsichern sollten.
Doch so oder so – der Engländer hatte sein Ziel erreicht, denn der Regimentskommandeur senkte den Kopf.
»Übergib den Gefangenen!«, wies er seinen Wachtmeister an, drehte sich um und ging mit müden Schritten davon.
Der Major wechselte einige Worte auf Englisch mit dem Gefangenen, forderte den Wachtmeister dann auf, dessen Fesseln zu durchtrennen, und winkte Spencer, auf das ledige Pferd zu steigen.
Das Letzte, das Walther sah, war das höhnisch verzogene Gesicht des Mörders. Dabei juckte es ihn in den Fingern, eine Muskete an sich zu nehmen und den Kerl einfach niederzuschießen. Doch als er sich zu den zu einem Kegel zusammengestellten Musketen umdrehte, hielt der Wachtmeister ihn auf.
»Ich weiß, was dich bewegt. Doch die Gewehre sind nicht geladen – und man schießt auch keinem Mann in den Rücken.«
»Dieser Schurke hat geplündert und Giselas Mutter abgestochen, als sie ihren toten Mann verteidigen wollte. Und dafür soll er straffrei ausgehen?«
»Die Engländer werden ihn bestrafen, und wenn nicht, so tut es Gott!« Steifbeinig ging der Wachtmeister weiter.
Walther gesellte sich schniefend wieder zu Gisela und schien nun
Weitere Kostenlose Bücher