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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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unter den Nagel gerissen.« Heurich spie aus und bedachte sowohl den Feind wie auch die Verbündeten mit wüsten Flüchen.
    Walther kämpfte noch immer mit seiner Trommel und hängte sich diese schließlich über die Schulter. Eigentlich hätte er den Marschtakt schlagen sollen. Aber wenn er die Trommel aus ihrem Lederüberzug nahm, würde er das Instrument hinterher mühsam von dem Deck säubern müssen, der ständig von Stiefeln und nackten Füßen hochspritzte. Die anderen Trommler ließen auch nichts von sich hören, und selbst die Flötenspieler waren verstummt.
    Jeder war froh, überhaupt einen Fuß vor den anderen setzen zu können. Daher hatte sich die Truppe so weit auseinandergezogen, dass Walther den Oberst an der Spitze nicht mehr sehen konnte. Als er sich umdrehte, war auch die Nachhut außer Sicht. Wahrscheinlich würden etliche Soldaten die Gelegenheit nützen und sich in die Büsche schlagen. So war es schon bei Ligny gewesen, wo sie mehr Männer durch Desertieren als durch den Kampf verloren hatten.
    »Die Weiber halten sich besser als die Mannsleut!«
    Reint Heurichs Bemerkung riss Walther aus seinem Sinnieren, und er nahm nun erst wahr, dass Walburga Fürnagl, die Wachtmeisterin, wie sie ihres Mannes wegen genannt wurde, und deren Tochter Gisela sie eingeholt hatten. Beide kämpften sich mit verbissenen Mienen auf der schlammigen Straße vorwärts. Die Mutter trug einen gewaltigen Tornister auf dem Rücken und schleppte in der einen Hand noch einen großen Beutel. In der anderen Hand hielt sie einen Stock, auf den sie sich immer wieder stützte. Auch Gisela war so voll bepackt, dass Walther sich schämte, dass er die Trommel als zu schwer empfunden hatte. Immerhin zählte das Mädchen gerade mal zehn Jahre und war damit drei Jahre jünger als er.
    Eben strauchelte Gisela und fiel in den Matsch. Die Mutter schien es nicht zu bemerken, denn sie marschierte unbeirrt weiter. Walther sah, wie das Mädchen sich verzweifelt aus dem Schlamm zu befreien suchte, und eilte kurz entschlossen zu ihr hin.
    »Gib mir deine Hand!«, rief er Gisela zu.
    Ihre Rechte war jedoch so voll Schlamm, dass Walther sie nicht richtig zu fassen vermochte und sie am Ärmel hochzerrte.
    Nun bemerkte auch die Mutter, dass sie die Tochter verloren hatte, und blieb zwanzig Schritte weiter schwer atmend stehen. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle sie zurückkommen, dann aber schüttelte sie den Kopf und sah zu, wie Walther dem Mädchen auf die Beine half und es bei den ersten Schritten stützte.
    »Bist ein braver Junge, Walther«, lobte Walburga Fürnagl ihn, als er Gisela zu ihr brachte. »Die Heilige Jungfrau wird’s dir vergelten.«
    Reint Heurich spie aus. »Lass uns mit deinen katholischen Heiligen und Jungfrauen in Frieden, Wachtmeisterin. Wir sind gute Lutheraner und wollen kein papistisches Zeug hören!«
    »Sie hat es doch gut gemeint«, wandte Walther ein.
    Obwohl Heurich sein Freund und Beschützer war, ärgerte er sich nun über den Mann. Zwar überwogen in ihrem Regiment die Soldaten aus protestantischen Gebieten, doch Oberst Graf Renitz hatte auch eine Kompanie aus einem aufgelösten bayerischen Bataillon in seine Dienste genommen, und diese Männer hatten sich als gute Soldaten erwiesen. Giselas Vater, Josef Fürnagl, führte als Wachtmeister die Vorhut an. Selbst bei Ligny hatte er die Übersicht behalten und die meisten seiner Männer zurückgebracht. Die Kompanie aber, zu der Walther und Reint Heurich gehörten, war auf ein Viertel ihrer ursprünglichen Zahl geschrumpft.
    Da Heurich mit einem verächtlichen Schnauben weiterging, dauerte es ein wenig, bis Walther wieder zu ihm aufschließen konnte. »Was hast du eigentlich gegen diese Leute?«
    »Heute hast du wohl den Fragewurm gefressen!«, knurrte der Musketier. »Ich mag halt keine Katholischen. Die beten zu allen möglichen Heiligen und vor allem zu ihrer Jungfrau Maria, wo doch jeder Mensch weiß, dass nur unser Heiland unsere Seelen retten kann. Halbe Heiden sind das!«
    Damit war die Sache für ihn erledigt. Kurz darauf wies er nach vorne. »Wie es aussieht, holen wir auf! Oder haben die dort haltgemacht? Das erscheint mir auch vernünftig, sonst marschieren wir noch in die Franzosen hinein, ohne es zu merken.«
    Da hörten sie in der Ferne ein Grollen wie von einem aufziehenden Gewitter.
    »Das sind die französischen Kanonen!«, rief Heurich. »Die erkenne ich am Klang. Aber ich glaube nicht, dass die Engländer sich halten. Es wäre besser,

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