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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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haben keine Ahnung.«
    »Sind Sie… Rafael?«
    »Rafael hält sich gegenwärtig in New York auf, um
Anthony van Horne abzupassen… Jawohl, Kapitän Anthony van Horne, den Mann, der die Matagorda-Bucht verseucht
hat.«
    Als der Engel wieder die Hauptbeleuchtung einschaltete, sah
Thomas, daß er sich auflöste. Silbrige Haare fielen ihm
büschelweise vom Schädel herab. Seine Schwingen verloren
Federn wie ein morsches Dach Schindeln. »Und die
anderen?«
    »Adabiel und Haniel sind beide gestern verschieden«,
erklärte der Engel, während er seine Harfe an sich nahm.
»Tödliche Empathie. Chamuel verfällt rasch, Michael
wird nicht mehr lang unter uns sein, Zafiel liegt aufs
Letzte…«
    »Bleibt noch Gabriel.«
    Der Engel zupfte die Harfe.
    »Um es kurz zu machen, Pater Ockham«, sagte Kardinal
Orselli, als hätte er inzwischen eine Menge erklärt, obwohl
er in Wahrheit überhaupt nichts geklärt hatte, »wir
wollen, daß Sie auf dem Schiff mitfahren. An Bord der Karpag
Valparaíso.«
    »Dem einzigen Supertanker, den der Vatikan je gechartert
hat«, konstatierte der Heilige Vater. »Ein besudeltes
Schiff, aber als einziges der Anforderung gewachsen. Oder wenigstens
wird’s so von diesem Engel behauptet.«
    »Welcher Anforderung?« fragte Thomas.
    »Der Bergung des Corpus Dei.« Gleißende
Tränen rannen Gabriel über die rissigen Wangen. Lichter
Schleim floß ihm aus den Nasenlöchern. »Um den
Herrgott vor denen zu schützen« – ein knapper Blick
des Engels streifte di Luca – »die seine Überreste
für eigene Zwecke mißbräuchten. Um für eine
würdige Bestattung zu sorgen.«
    »Erreicht der Leichnam erst einmal arktische
Gewässer«, erläuterte Orselli, »hört die
Verwesung auf.«
    »Eine Begräbnisstätte ist schon vorbereitet
worden«, sagte Gabriel, spielte auf seinem Instrument ziemlich
amateurhaft Dies Irae. »In einem Eisberg an der Insel
Kvitöi.«
    »Und Sie werden die ganze Zeit auf der Brücke
sein«, meinte di Luca, legte Thomas die vom roten Handschuh
umhüllte Rechte auf die Schulter. »Unser einziger
Verbindungsmann, der sicherstellen kann, daß van Horne sich an
den gewiesenen Weg hält. Der Mann ist nämlich kein
Katholik. Er ist kaum als Christ einzustufen.«
    »Sie stehen als Passagier auf der Liste, als nicht zur
Besatzung gezählter Fahrgast«, teilte der Papst dem Pater
mit. »In Wirklichkeit sind Sie aber der wichtigste Mann bei der
ganzen Angelegenheit.«
    »Ich lege Wert auf völlige Klarheit.« Gabriel
richtete seine elektrischen Augen direkt auf Innozenz XIV. »Wir
wünschen eine ehrbare Bestattung, sonst nichts. Kein Aufsehen,
Eure Heiligkeit. Keine Milliarden-Dollar-Totenfeier, keine
unermeßlich teuren Denkmäler auf dem Grab. Und daß
er uns ja nicht in Reliquien zerschnippelt wird.«
    »Das ist mir vollauf verständlich«, antwortete der
Papst.
    »Da bin ich mir nicht so sicher.« Der Engel verzerrte
die Miene und rang um Atem. »Sie führen eine zählebige
Organisation, Eure Heiligkeit. Wir haben Sorge, daß Sie
vielleicht nicht wissen, wann Schluß ist.«
    »Sie können uns vertrauen«, beteuerte di Luca.
    Indem Gabriel die linke Schwinge so weit spannte, wie es ihm
möglich war, berührte er mit den Federn Thomas’ Wange.
»Ich beneide Sie, Professor. Im Gegensatz zu mir finden Sie noch
genug Zeit, um aufzudecken, warum es soweit kommen mußte. Ich
bin der Überzeugung, daß Sie bei vollem Einsatz Ihres
Jesuitenintellekts, und wenn Sie bei Tag und Nacht daran
grübeln, während die Valparaíso den
Nordatlantik durchpflügt, auf eine Lösung des Problems
stoßen.«
    »Allein durch den Verstand?« fragte Thomas.
    »Allein kraft des Verstands. Dafür kann ich praktisch
garantieren. Lassen Sie sich Zeit bis zum Ende der Fahrt, und
plötzlich wird Ihnen die Lösung des
Rätsels…«
    Ein scharfes, kehliges Ächzen. Dr. Carminati eilte zu dem
Engel und öffnete ihm die Kleidung, drückte das Stethoskop
auf seine milchweiße Brust. Mit einem Schnaufer hob Innozenz
XIV. die Hand an die Lippen und saugte an den Fingerspitzen des
Samthandschuhs.
    Gabriel sackte in den nächsten Sitz, sein Heiligenschein
wurde so dunkel, daß er einem Schokoladenplätzchen
ähnelte.
    »Verzeihen Sie, Eure Heiligkeit…« Der Arzt zog sich
das Stethoskop aus den Ohren. »Aber es wäre besser, ihn ins
Krankenhaus zurückzubringen.«
    »Gehen Sie mit Gott«, stimmte der Papst zu, streckte
dieHand in die Höhe, drehte sie zur Seite und schlug ein
Kreuz.
    »Denken Sie dran«, sagte der Engel.

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