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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Erfindungen
– Schwerkraft, Würde, Liebe, Moral, Mitleid – hatten
offenbar unverändert Bestand.
    »Unterrichten Sie mich über die Bemannung«,
verlangte van Horne.
    Thomas riß der Flasche Old Milwaukee den Kronkorken ab, hob
den Flaschenhals an die Lippen und trank. »Heute morgen habe ich
den von Ihnen gewünschten Schiffskoch angeheuert, Sam
Sowieso…«
    »Follingsbee. Über diese Ironie komme ich nie weg…
Ein Smutje, der Meeresfrüchte verabscheut. Egal. Der Mann
weiß genau, was der heutige Jantje essen will, und bringt alles
zustande: Tacos, Hamburger aller Art, Grillhähnchen, Sauerbraten
mit Rotkohl…«
    »Buzzy Longchamps hat den Posten des Ersten Offiziers
abgelehnt.«
    »Weil er unter mir nicht mehr fahren mag?«
    »Weil er nicht mehr auf der Valparaíso fahren
möchte. Aberglauben.« Thomas stellte den Aktenkoffer auf
die AT&T-Kabeltrommel, ließ die Verschlüsse
aufschnappen und holte seine Jerusalemer Bibel heraus. »Ihr
Ersatzmann hat zugesagt.«
    »Rafferty? Ich bin mit ihm nie unterwegs gewesen, aber ich
habe immer gehört, daß er von Bergungstätigkeit mehr
als jeder andere im Gewerbe versteht…«
    Die Stimme des Kapitäns verklang. Seine Augen nahmen einen
entrückten Blick an. Während er einen tiefen Zug
klammschwüler Luft einatmete, strich er mit dem Nagel des
Zeigefingers über den Bauch der tätowierten Seejungfrau,
als vollführte er einen Kaiserschnitt.
    »Das Öl geht nicht weg«, sagte er tonlos.
    »Was?«
    »Das Öl der Matagorda-Bucht. Wenn ich schlafe, kommt ein
Reiher in mein Schlafzimmer geflogen, dem schwarzes Öl von den
Flügeln trieft. Er kreist über mir wie ein Geier über
einem Kadaver und kreischt Verwünschungen. Manchmal ist es ein
rosa Löffler oder ein Ibis. Wußten Sie, daß sich die
Seekühe, als das Öl ihnen ’s Gesicht verklebte, mit
den Flossen die Augen gerieben haben, bis sie blind wurden?«
    »Das ist… schrecklich«, meinte Thomas.
    »Stockblind.« Van Horne krümmte die Rechte zu einer
Zange, preßte sich zwischen Daumen und Ringfinger die Stirn.
Seine Linke hob die Flasche Old Milwaukee, er trank sie mit einem Zug
halb leer. »Was ist mit ’m Zweiten Offizier?«
    »Sie dürfen keinen Abscheu vor sich selbst haben,
Anthony.«
    »Einem Maschinisten?«
    »Verabscheuen Sie, was Sie getan haben, aber nicht sich
selbst.«
    »Einem Bootsmann?«
    Thomas klappte die Bibel auf und entnahm ihr den Satz
Acht-mal-zehn-Hochglanzfotos, die die Druckerei des L’Osservatore Romano anhand von Gabriels Dias entwickelt
hatte. »Diese Fragen werden morgen geklärt. Durch
Erkundigung nach einem Offizier bei der Schiffer-, Marineoffiziers-
und Dingsdavereinigung, nach einem Bootsmann drüben in Jersey
City…«
    Der Kapitän entfernte sich ins Schlafzimmer; als er zwei
Minuten später wiederkehrte, hatte er eine pink-rosa Bermudahose
und ein Arco- T-Shirt angezogen. »Langer Lulatsch,
hm?« meinte er, während er die Fotos betrachtete.
»Über drei Kilometer, hat Rafael erzählt.« Er
legte die Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger an das Bild der
Leiche. »Ungefähr die Größe der Ortsmitte von
Wilkes-Barre. Klein für ’ne Stadt, groß für
’ne Person. Kennen Sie seine Wasserverdrängung?«
    Thomas trank einen herzhaften Schluck Old Milwaukee. »Schwer
zu sagen. Schätzungsweise an die sieben Millionen Tonnen.«
Der Genuß kalten Biers bedeutete wahrscheinlich seine heikelste
Annäherung an Sünde überhaupt; außer Bier
gefährdeten die Eitelkeit, die er empfand, wenn er seinen Namen
in der Zeitschrift für experimentelle Physik erwähnt
sah, und das Opfer der unzüchtigen Erniedrigungen, das er nach
dem gelegentlichen Erwerb des Playboy darbrachte, sein
Seelenheil. »Kapitän, unter welchem Gesichtspunkt sehen Sie
unsere Fahrt?«
    »Hä?«
    »Worin erblicken Sie den Zweck?«
    Van Horne ließ sich ärschlings auf die aufgeplatzte
Couch plumpsen. »Wir verschaffen Gott eine anständige
Bestattung.«
    »Hat Ihr Engel eine Wiederauferstehung angedeutet?«
    »Nee.«
    Thomas schloß die Augen, als stünde er davor, seinen
Studenten ein besonders schwieriges oder bestürzendes
Gedankengebäude zu vermitteln, etwa Chaotische Attraktoren oder
die Vielewelten-Hypothese. »Die Katholische Kirche ist keine
Institution, die leicht alle Hoffnung aufgibt. Ihre Einstellung ist
die folgende: Obwohl Gottes Herz offenbar zu schlagen aufgehört
hat, kann das Zentralnervensystem noch gesunde Zellen enthalten.
Kurzum, der Heilige Vater ist dafür, es in dieser Krise mit

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