Das Grab des Ghouls
Haut im Handteller kratzte.
Die Klaue packte zu. Sie sorgte für einen festen Griff und damit auch für eine Botschaft.
Wayne ließ sich bis dicht an die Bestie heranziehen. Sie umarmte ihn sogar, was ihm gut tat. Er fühlte sich bei ihr aufgehoben. Es wurde kein Wort zwischen ihnen gesprochen, denn sie verstanden sich auch so. Desmond Wayne begriff, dass für ihn ein völlig neues Leben begonnen hatte und er seinem neuen Mentor folgen sollte.
Die Nacht gehörte ihnen. Wie auch das Grab hinter ihnen, das jetzt wieder leer war.
Keiner sah sie, als sie in die Dunkelheit schritten. Beide waren noch nicht weit gegangen, als Desmond Wayne ein ganz neues Gefühl überkam.
Er spürte es wie eine Sucht, die so leicht nicht zu stoppen war. Es war eine besondere Gier, die er in seinem alten Leben auf keinen Fall gekannt hatte.
Die Gier nach Fleisch und Blut...
Es war ruhig geworden im Landhotel. Die Gäste hatten sich schlafen gelegt, was auch wichtig war, denn der morgige Tag barg schon gewisse Anstrengungen in sich. Besonders der Abend und die junge Nacht, denn da sollte die alte Ruine besichtigt werden, um den Geisterspuk erleben zu können.
Jeder wartete darauf. Es war der Höhepunkt der Reise, und das wusste auch Rita McQueen.
Sie hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Nicht allein, denn sie sah den Whisky als ihren Begleiter an. Wenn sie einige Schlucke getrunken hatte, sah die Welt schon wieder anders aus. Alle kannten sie nur als eine Frau, die genau wusste, wo es langging, die immer den richtigen Spruch draufhatte und es auch schaffte, die anderen Menschen mitzureißen.
Keiner jedoch schaute in ihr wahres Inneres. Dass es ihr oft schlecht ging. Dass sie unter der Einsamkeit der Abende litt und dabei nahe an den Zustand der Depression geriet. Das alles blieb den Reisenden im Bus verborgen.
Es gab genügend Menschen, die mit ihren Problemen zu ihr kamen und die Sorgen bei ihr abluden. Nur hatte sie keinen, mit dem sie über ihre Probleme sprechen konnte. Sie lebte in London allein, und auf den Reisen fühlte sie sich kaum anders.
Beziehungen ?
Wenn sie darüber nachdachte, musste sie lachen. Ja, es hatte sie gegeben, aber sie waren stets in die Brüche gegangen. Das Leben war kein Roman mit einem Happy End.
Beziehungen bedeuteten auch, dass sie Kompromisse eingehen musste, doch genau das wollte sie nicht. Dabei lag es nicht nur an ihr, auch die andere Seite war zumeist mehr auf sich selbst fixiert, und so lebte sie allein vor sich hin.
Der Whisky tat ihr gut. Nach dem dritten Schluck erschien ihr das Leben schon wieder etwas freundlicher. Sie prostete sich immer zu, weil kein anderer Mensch in ihrer Nähe war. Und mit den Reisenden wollte sie sich auch nicht verbrüdern. So etwas ging meistens schief.
Sie bekam immer dasselbe Zimmer zugeteilt. Der Raum war so etwas wie ihr zweites Zuhause geworden. Wenn sie eintraf, stand immer ein kleiner Blumenstrauß auf dem Tisch, um dem Raum wenigstens etwas Freundlichkeit zu geben.
Es war nett von Rosali Carter, der Besitzerin. Zu ihr hatte Rita im Lauf der Zeit ein gewisses Vertrauen gefasst. So manchen Abend hatten die beiden zusammengesessen und sich ausgesprochen. Auch im Leben der Wirtin gab es Probleme genug. Sie litt ebenfalls unter der Einsamkeit, denn ihr Mann war ein gefühlskalter Klotz.
Rita hatte die Beine ausgestreckt und hielt zumeist die Augen geschlossen. Hin und wieder nippte sie an ihrem Glas und dachte daran, was sie bei der alten Ruine gesehen hatte.
Der Nebel, das Unheimliche, das nicht so richtig erklärbar für sie war. Die Besucher würden es erleben, sie würden staunen und große Augen bekommen, aber sie würden auch etwas von der Angst spüren, die stets vorhanden war.
Die Ruine war kein guter Ort. Dort hauste tatsächlich etwas, das sich Rita nicht erklären konnte. Die Bedrohung hatte immer mehr zugenommen. Das konnte niemand bestreiten, aber die Menschen wollten es. Den Schauer spüren. Sich ihrer Angst hingeben und daran denken, dass sich die Geister der Vergangenheit dort versammelt hatten, um den Menschen zu zeigen, wie mächtig sie waren.
Ja, es waren schon rätselhafte Dinge geschehen. Es waren auch Menschen verschwunden, die an dieser Reise teilgenommen hatten. Was mit ihnen genau geschehen war, wusste Rita McQueen nicht, und sie wollte es auch nicht wissen.
»Irgendwann höre ich auf«, flüsterte sie. »Und zwar noch in diesem Jahr.« Sie nickte, um sich selbst eine Bestätigung zu geben – und schreckte dann leicht
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