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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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an einigen Stellen rotunterlaufen und von Kratzern bedeckt, aber frei von Schnitten und Bisswunden, abgesehen von der an ihrer Schulter.
    Sie ließ den Blick durch den Keller schweifen.
    Sie war allein.
    Sogar Melvins Leiche war offenbar verschwunden.
    Sie lauschte angestrengt. Sie hörte das Klopfen ihres Herzens, sonst nichts.
    Sie stemmte sich auf die nächste Stufe und stöhnte, als ein brennender Schmerz durch ihren Körper fuhr. Doch nun konnte sie mit den Zähnen die Wäscheleine erreichen, mit der ihre Handgelenke an das Geländer gebunden waren. Sie begann, an der Plastikleine zu kauen.
    Sie lauschte. Noch immer nichts.
    Hatten sie sie tatsächlich allein zurück gelassen?
    Es schien zu schön, um wahr zu sein.
    Als die Leine endlich riss, zerrte sie mit den Zähnen an den Knoten an ihren Handgelenken. Sie lösten sich. Sie zog ihre Hände aus den Schlingen, hielt sich am Treppengeländer fest und stemmte sich auf die Beine. Sie drehte sich um. Die Tür oberhalb der Treppe stand offen.
    Langsam stieg sie die Stufen hinauf.
    Ihr Herz machte einen Satz, als sie im Korridor die reglose Gestalt eines Mannes liegen sah. Jack. Er rührte sich nicht.
    Mit vorsichtigen Schritten und ohne ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen ging sie um ihn herum. Sein Kopf war zur anderen Seite gedreht, und sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Sein ganzer Hinterkopf war weggerissen, sein Nacken nur noch eine blutige Masse, doch sie war sich nicht sicher, ob er wirklich tot war.
    Außerhalb seiner Reichweite blieb sie stehen und starrte auf seinen Rücken hinab. Schließlich ließ sie sich auf die Knie sinken und legte eine Hand auf sein Baumwollhemd. Sie fühlte keine Wärme. Sie hob eine seiner Hände und glaubte, in ihr bereits die beginnende Leichenstarre zu spüren.
    Zuerst war sie erleichtert.
    Dann musste sie weinen.
    Sie wusste, dass sie so schnell wie möglich aus diesem Haus verschwinden musste. Die anderen waren vielleicht irgendwo in der Nähe, in einem Zimmer oder oben im ersten Stock oder vielleicht kurz nach draußen gegangen und konnten jeden Augenblick zurückkehren. Doch sie blieb neben Jack auf den Knien liegen, das Gesicht in ihren Händen vergraben, und weinte um Jack und um sich und wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen und irgendetwas in ihrem Leben zu verändern – eine winzige Kleinigkeit vielleicht nur – und damit alles ungeschehen zu machen.
    Schließlich zwang sie sich, aufzustehen.
    Sie hinkte zur Haustür und zog sie auf. Gleißendes Sonnenlicht stach ihr in die Augen.

Kapitel Dreiunddreißig
    Der Schrei, der Vicki aus einem Alptraum hochschrecken ließ, in dem sie von Leichen verfolgt wurde, war nicht ihr eigener. Ihr Herz hämmerte, als sie die Bettdecke zurückwarf, mit einem Satz aus dem Bett sprang und durch das dunkle Haus zu Aces Zimmer rannte. Sie schaltete das Licht an.
    Ace saß aufrecht und keuchend in ihrem Bett. Ihr gelbes Minnie-Maus-Nachthemd klebte nass an ihrem Körper.
    Vicki setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand.
    »Melvin?«
    »Wer sonst? Scheiße. Eigentlich müsste ich längst drüber weg sein.«
    »Das wird noch eine Weile dauern«, sagte Vicki. »Ein paar Jahre wahrscheinlich.«
    »Da siehst du’s wieder«, ächzte Ace. »Unsere Körper sind so gut wie neu – beinahe jedenfalls, aber …«
    »Besser als neu, in deinem Fall.«
    »Ja, richtig.« Grinsend tätschelte Ace ihren Bauch. Sie war auch vor dem Überfall nicht sonderlich übergewichtig gewesen, doch jetzt war sie richtig schlank. Da sie mittlerweile kleinere Portionen aß, hatte sie es geschafft, die fünfzehn Pfund, die sie abgenommen hatte, während ihr gebrochener Kiefer mit einer Drahtnaht fixiert war, nicht wieder zuzulegen.
    Die einzige bleibende Narbe von ihrer verhängnisvollen Begegnung mit Melvin war eine dünne, kaum erkennbare helle Linie unterhalb des Haaransatzes an ihrer Stirn. Ihr Haar war dort, wo ihre Kopfhaut wieder angenäht worden war, nachgewachsen – allerdings schlohweiß.
    »Wenn nur diese verdammten Alpträume nicht wären. Und wenn ich wach bin, würde ich mich am liebsten im erstbesten Schrank verkriechen.«
    »Ich auch.«
    »Und ohne Grund zu heulen anfangen. Das nervt, wenn du weißt, was ich meine. Wieso heilen unsere Seelen nicht so schnell wie unsere Körper?«
    »Sind nicht so hart im Nehmen, schätze ich.«
    »Wir sind zwei hartgesottene alte Bräute.«
    »Das hast du gesagt.«
    »Im Frühling unserer Altjungfernschaft«, grinste Ace.
    »Na

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