Tanz der Hexen
1
Am Anfang war die Stimme des Vaters. »Emaleth!« wisperte er nah am Bauch ihrer Mutter, als diese schlief. Und dann sang er für sie, die langen Lieder der Vergangenheit. Lieder vom Glen von Donnelaith und von der Burg, wo sie eines T a ges Zusammensein würden, sang davon, wie sie geboren werden und alles wissen würde, was Vater wußte. Es ist uns e re Art, sagte er zu ihr in der schnellen Sprache, die andere nicht verstehen konnten.
Für andere klang es wie ein Summen, wie ein Pfeifen. Es war ihre Geheimsprache, denn sie vermochten Silben zu hören, die so schnell dahinströmten, daß die ändern sie nicht fassen konnten. Sie konnten einander singend rufen. Emaleth konnte es beinahe, konnte fast schon sprechen…
»Emaleth, mein Liebling, Emaleth, meine Tochter, Emaleth, meine Gefährtin.« Vater wartete auf sie. Sie mußte schnell wachsen und stark werden für ihn. Und wenn die Zeit kam, würde Mutter ihr helfen müssen. Sie würde Mutters Milch tri n ken müssen.
Mutter schlief. Mutter weinte. Mutter träumte. Mutter war krank. Und wenn Vater und Mutter stritten, dann bebte die Welt.
Aber nachher kam Vater dann immer und sang für sie, und er erinnerte sie daran, daß die Worte seines Liedes zu schnell waren, als daß Mutter sie verstehen könnte.
Und bei der Melodie hatte Emaleth das Gefühl, die winzige Welt, in der sie lebte, habe sich gedehnt, und sie schwebe an einem Ort ohne Grenzen, hierhin und dorthin geschoben von Vaters Gesang.
Vater sprach Gedichte, die schön waren, Worte vor allem, die sich reimten. Bei Reimen ging ein Kribbeln durch Emaleth. Sie streckte die Beine und die Arme und drehte den Kopf hierhin und dorthin, so wohl war ihr bei diesen Reimen.
Mutter sprach nicht mit Emaleth. Mutter sollte gar nicht wissen, daß Emaleth da war. Emaleth war winzig, sagte Vater, aber vollkommen geformt. Emaleth hatte schon ihr langes Haar.
Aber wenn Mutter sprach, verstand Emaleth sie; wenn Mutter schrieb, sah Emaleth die Wörter. Emaleth hörte Mutter häufig flüstern. Sie wußte, daß Mutter Angst hatte. Manchmal sah sie Mutters Träume. Sie sah Michaels Gesicht. Sie sah Streit. Sie sah Vaters Gesicht, wie Mutter es sah, und es machte Mutter traurig.
Vater liebte Mutter, aber Mutter machte ihn wild und wütend, und wenn er Mutter schlug, dann litt Mutter, fiel sogar, und Emaleth schrie oder versuchte doch, zu schreien. Aber nac h her, wenn Mutter schlief, kam Vater immer und sagte, Emaleth solle sich nicht fürchten. Sie würden zusammenkommen im Kreis der Steine zu Donnelaith, und dann erzählte er ihr G e schichten von den alten Zeiten, als all die schönen Geschöpfe auf einer Insel gelebt hatten; es war das Paradies gewesen, bevor die anderen und die kleinen Leute gekommen waren. War es nicht besser, wenn sie von der Erde vertrieben wu r den?
»Ich sage dir alles, was ich jetzt weiß. Und alles, was mir e r zählt wurde«, sagte er. Und Emaleth sah den Kreis der Steine, und Vaters große Gestalt, wie sie die Saiten der Harfe schlug. Alle tanzten. Sie sah die kleinen Leute, die sich im Schatten versteckten, erbost und zornig. Sie mochte sie nicht, sie wollte nicht, daß sie sich in die Stadt hinunterstahlen. Sie vera b scheuten uns instinktiv, sagte Vater von den kleinen Leuten. Wie sollten sie auch nicht? Aber jetzt kommt es auf sie nicht mehr an. Sie sind nur ein Nachhall jener Träume, die es nicht vermocht haben, wahr zu werden.
Jetzt ist die Stunde. Die Stunde für Emaleth und Vater.
Sie sah Vater in den alten Zeiten, mit ausgebreiteten Armen. Es war Weihnachten, und das Hochlandtal lag tief verschneit. Die schottischen Kiefern waren ganz nah. Fromme Lieder erklangen allerorten. Die Menschen sangen. Emaleth liebte das Auf und Ab ihrer Stimmen. Es gab so viel, was sie noch sehen und lernen mußte.
»Wenn wir getrennt werden, meine Geliebte, dann komme zum Glen von Donnelaith. Du kannst es finden. Du kannst es tun. Es gibt Leute, die suchen nach Mutter, Leute, die uns voneinander trennen wollen. Aber vergiß nicht, wenn du in diese Welt geboren wirst, dann wirst du alles wissen, was du wissen mußt. Kannst du mir jetzt antworten?«
Emaleth versuchte es, aber sie konnte es nicht.
»Taltos«, sagte er und küßte Mutters Bauch. »Ich höre dich, Liebling, ich liebe dich.« Und solange Mutter schlief, war Em a leth glücklich, denn wenn Mutter erwachte, würde Mutter weinen.
»Glaubst du, ich würde ihn nicht augenblicklich töten?« sagte Vater zu Mutter. Sie stritten sich über
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