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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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gebe vielen Armen Geld. Ich kann mich nicht an alle erinnern. Nehmt das!
    Er wühlt in seinen Taschen unter dem Umhang und gibt uns ein paar Münzen. Wir nehmen sie und sagen: 
    - Es ist wenig. Es ist zu wenig. Das reicht nicht einmal, um einen Laib Brot zu kaufen. 
    Er sagt:
    - Ich bedaure. Es gibt viele Arme. Und die Kirchgänger geben fast keine Opfer mehr. Alle Welt ist im Augenblick in Schwierigkeiten. Geht, Gott segne euch! 
    Wir sagen:
    - Für heute können wir uns mit dieser Summe zufriedengeben, aber wir sind gezwungen, morgen wiederzukommen.
    - Wie? Was soll das heißen? Morgen? Ich werde euch nicht hereinlassen. Verlaßt sofort dieses Haus. 
    - Morgen werden wir so lange läuten, bis Sie uns hereinlassen. Wir werden an die Fenster klopfen, wir werden mit den Füßen gegen Ihre Tür treten, und wir werden allen erzählen, was Sie mit Hasenscharte gemacht haben.
    - Ich habe nie irgend etwas mit Hasenscharte gemacht. Ich weiß nicht einmal, wer das ist. Sie hat euch Dinge erzählt, die sie erfunden hat. Das Gerede eines schwachsinnigen Mädchens wird man nicht ernst nehmen. Niemand wird euch glauben. Alles, was sie erzählt, ist falsch! 
    Wir sagen:
    - Unwichtig, ob es wahr oder falsch ist. Die Hauptsache ist die Verleumdung. Die Leute mögen den Skandal. 
    Der Pfarrer setzt sich auf einen Stuhl, wischt sich sein Gesicht mit einem Taschentuch ab.
    - Das ist ungeheuerlich. Wißt ihr überhaupt, was ihr da tut?
- Ja, Herr Pfarrer. Erpressung.
- In eurem Alter... Es ist traurig.
    - Ja, es ist traurig, daß wir dazu gezwungen sind. Aber Hasenscharte und ihre Mutter brauchen unbedingt Geld.
    Der Pfarrer steht auf, legt seinen Umhang ab und sagt: 
    - Es ist eine Prüfung, die Gott mir schickt. Wieviel wollt ihr? Ich bin nicht reich.
    - Zehnmal soviel, wie Sie uns gegeben haben. Einmal pro Woche. Wir verlangen nichts Unmögliches. 
    Er zieht Geld aus seiner Tasche, gibt es uns:
    - Kommt jeden Samstag. Aber bildet euch nur nicht ein, daß ich es tue, um eurer Erpressung nachzugeben. Ich tue
es aus Nächstenliebe.
Wir sagen:
    - Genau das haben wir von Ihnen erwartet, Herr Pfarrer.

Anklagen
    Eines Nachmittags betritt der Adjutant die Küche. Wir haben ihn lange nicht gesehen. 
    Er sagt: 
    - Ihr kommen helfen Jeep ausladen?
    Wir ziehen unsere Stiefel an, wir folgen ihm zum Jeep, der auf der Straße vor der Gartentür steht. Der Adjutant reicht uns Kisten und Schachteln, die wir in das Zimmer des Offiziers tragen. 
    Wir fragen:
    - Wird der Herr Offizier heute abend kommen? Wir haben ihn noch nie gesehen.
Der Adjutant sagt:
    - Offizier nicht kommen im Winter her. Vielleicht nie kommen. Er haben Liebeskummer. Vielleicht finden jemand andern später. Muß vergessen. Ist nichts für euch so Geschichten. Ihr bringen Holz, um Zimmer zu heizen.
    Wir bringen Holz, wir machen Feuer in dem kleinen Ofen. Der Adjutant öffnet die Kisten und Schachteln und stellt Wein-, Schnaps-, Bierflaschen auf den Tisch sowie viele eßbare Sachen: Würste, Fleisch- und Gemüsekonserven, Reis, Kekse, Schokolade, Zucker, Kaffee. Der Adjutant öffnet eine Flasche, beginnt zu trinken und sagt:
    - Ich Konserven warm machen im Blechnapf auf Spirituskocher. Heute abend essen, trinken, singen mit Kameraden. Feiern Sieg gegen Feind. Wir bald Krieg gewinnen mit neuer Wunderwaffe.
Wir fragen:
- Der Krieg ist also bald aus?
Er sagt:
    - Ja. Sehr schnell. Warum ihr so anschauen Essen auf dem Tisch? Wenn ihr haben Hunger, Schokolade essen,
Kekse, Wurst.
Wir sagen:
- Es gibt Leute, die verhungern.
- Na und? Nicht dran denken. Viele Leute an Hunger sterben oder an was anders. Wir nicht denken. Wir essen
und nicht sterben.
Er lacht. 
    Wir sagen:
- Wir kennen eine blinde und taube Frau, die mit ihrer Tochter hier in der Nähe wohnt. Sie werden diesen Winter nicht überleben.
- Ich nicht schuld dran.
    - Doch Sie sind daran schuld. Sie und Ihr Land. Ihr habt uns den Krieg gebracht.
    - Vor dem Krieg, was sie tun, um zu essen, die Blinde und Tochter?
    - Vor dem Krieg lebten sie von Almosen. Die Leute gaben ihnen alte Kleider, alte Schuhe. Sie brachten ihnen zu essen. Jetzt gibt ihnen niemand mehr was. Die Leute sind alle arm oder haben Angst, es zu werden. Der Krieg hat sie geizig und egoistisch gemacht. 
    Der Adjutant schreit:
    - Ich auf alles das pfeifen! Genug! Schnauze halten! 
    - Ja, Sie pfeifen darauf, und Sie essen unsere Nahrung. 
    - Nicht eure Nahrung. Ich das nehmen aus Kasernenvorrat.
    - Alles, was auf diesem Tisch steht, kommt aus unserm

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