Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
aber sagte, das wäre zu gefährlich für ihn, denn wenn dort der Strahl eines brennenden Lichts ihn berührte, so würde er in eine Taube verwandelt, und müsste sieben Jahre lang mit den Tauben fliegen. „Ach“, sagte sie, „geh nur mit mir: ich will dich schon hüten und vor allem Licht bewahren.“ Also zogen sie zusammen und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie ließ dort einen Saal mauern, so stark und dick dass kein Strahl durchdringen konnte, darin sollt er sitzen, wann die Hochzeitslichter angesteckt würden. Die Tür aber war von frischem Holz gemacht, das sprang und bekam einen kleinen Ritz, den kein Mensch bemerkte. Nun ward die Hochzeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus der Kirche zurückkam mit den vielen Fackeln und Lichtern an dem Saal vorbei, da fiel ein haarbreiter Strahl auf den Königssohn, und wie dieser Strahl ihn berührt hatte, in dem Augenblick war er auch verwandelt, und als sie hineinkam und ihn suchte, sah sie ihn nicht, aber es saß da eine weiße Taube. Die Taube sprach zu ihr „sieben Jahr muss ich in die Welt fortfliegen: alle sieben Schritte aber will ich einen roten Blutstropfen und eine weiße Feder fallen lassen, die sollen dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.“
Da flog die Taube zur Tür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rotes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So ging sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortging, fiel kein Federchen mehr und auch kein rotes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte „Menschen können dir da nicht helfen“, so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr „du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „ Nein“, sagte die Sonne, „ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Not bist.“ Da dankte sie der Sonne und ging weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn „du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein“, sagte der Mond, „ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Not bist.“ Da dankte sie dem Mond, und ging weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm „du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?“ „Nein“, sagte der Nachtwind, „ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.“ Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach „die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum roten Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Königstochter.“ Da sagte der Nachtwind zu ihr „ich will dir Rat geben, geh zum roten Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruten, die zähle, und die elfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Löwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder. Hernach schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen, der am roten Meer sitzt, schwing dich mit deinem Liebsten auf seinen Rücken: der Vogel wird euch übers Meer nach Haus tragen. Da hast du auch eine Nuss, wenn du mitten über dem Meere bist, lass sie herab fallen, alsbald wird sie aufgehen, und ein großer Nussbaum wird aus dem Wasser hervor wachsen, auf dem sich der Greif ausruht: und könnte er nicht ruhen, so wäre er nicht stark genug euch hinüber zu tragen: und wenn du vergisst die Nuss herab zu werfen, so lässt er euch ins Meer fallen.“
Da ging sie hin und fand alles wie der Nachtwind gesagt hatte. Sie zählte die Ruten am Meer und schnitt die elfte ab, damit schlug sie den Lindwurm, und der Löwe bezwang ihn: alsbald hatten beide ihren menschlichen Leib wieder. Aber wie die Königstochter, die vorher ein Lindwurm gewesen war, vom Zauber frei war, nahm sie den Jüngling in den Arm, setzte sich auf den Vogel Greif, und führte ihn mit sich fort. Da stand die arme weitgewanderte,
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