Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
sprach „Herr König, dem Schneider ist zu Ohren gekommen dass auf dem Schlosshof kein Wasser springen will, da hat er sich vermessen es solle mitten im Hof mannshoch aufsteigen und hell sein wie Kristall.“ Da ließ der König den Schneider herbei holen und sagte „wenn nicht Morgen ein Strahl von Wasser in meinem Hof springt, wie du versprochen hast, so soll dich der Scharfrichter auf demselben Hof um einen Kopf kürzer machen.“ Der arme Schneider besann sich nicht lange und eilte zum Tore hinaus, und weil es ihm diesmal ans Leben gehen sollte, so rollten ihm die Tränen über die Backen herab. Indem er so voll Trauer dahin ging, kam das Füllen herangesprungen, dem er einmal die Freiheit geschenkt hatte, und aus dem ein hübscher Brauner geworden war. „Jetzt kommt die Stunde,“ sprach er zu ihm, „wo ich dir deine Guttat vergelten kann. Ich weiß schon was dir fehlt, aber es soll dir bald geholfen werden, sitz nur auf, mein Rücken kann deiner zwei tragen.“
Dem Schneider kam das Herz wieder, er sprang in einem Satz auf, und das Pferd rennte in vollem Lauf zur Stadt hinein und geradezu auf den Schlosshof. Da jagte es dreimal rund herum, schnell wie der Blitz und beim drittenmal stürzte es nieder. In dem Augenblick aber krachte es furchtbar: ein Stück Erde sprang in der Mitte des Hofs wie eine Kugel in die Luft und über das Schloss hinaus, und gleich dahinter her erhob sich ein Strahl von Wasser so hoch wie Mann und Pferd, und das Wasser war so rein wie Kristall, und die Sonnenstrahlen fingen an darauf zu tanzen. Als der König das sah, stand er vor Verwunderung auf, ging und umarmte das Schneiderlein im Angesicht aller Menschen.
Aber das Glück dauerte nicht lang. Der König hatte Töchter genug, eine immer schöner als die andere, aber keinen Sohn. Da begab sich der boshafte Schuster zum viertenmal zu dem Könige, und sprach „Herr König, der Schneider lässt nicht ab von seinem Übermut. Jetzt hat er sich vermessen, wenn er wolle, so könne er dem Herrn König einen Sohn durch die Lüfte herbei tragen lassen.“ Der König ließ den Schneider rufen und sprach „wenn du mir binnen neun Tagen einen Sohn bringen lässt, so sollst du meine älteste Tochter zur Frau haben.“ „Der Lohn ist freilich groß,“ dachte das Schneiderlein, „da täte man wohl ein übriges, aber die Kirschen hängen mir zu hoch: wenn ich danach steige, so bricht unter mir der Ast, und ich falle herab.“ Er ging nach Haus, setzte sich mit unterschlagenen Beinen auf seinen Arbeitstisch und bedachte sich was zu tun wäre. „Es geht nicht,“ rief er endlich aus, „ich will fort, hier kann ich doch nicht in Ruhe leben.“ Er schnürte sein Bündel und eilte zum Tore hinaus.
Als er auf die Wiesen kam, erblickte er seinen alten Freund, den Storch, der da, wie ein Weltweiser, auf und abging, zuweilen still stand, einen Frosch in nähere Betrachtung nahm und ihn endlich verschluckte. Der Storch kam heran und begrüßte ihn. „Ich sehe,“ hub er an, „du hast deinen Ranzen auf dem Rücken, warum willst du die Stadt verlassen?“ Der Schneider erzählte ihm was der König von ihm verlangt hatte und er nicht erfüllen konnte, und jammerte über sein Misgeschick. „Lass dir darüber keine grauen Haare wachsen,“ sagte der Storch, „ich will dir aus der Not helfen. Schon lange bringe ich die Wickelkinder in die Stadt, da kann ich auch einmal einen kleinen Prinzen aus dem Brunnen holen. Geh heim und verhalte dich ruhig. Heut über neun Tage begib dich in das königliche Schloss, da will ich kommen.“ Das Schneiderlein ging nach Haus und war zu rechter Zeit in dem Schloss. Nicht lange, so kam der Storch heran geflogen und klopfte ans Fenster. Der Schneider öffnete ihm, und Vetter Langbein stieg vorsichtig herein und ging mit gravitätischen Schritten über den glatten Marmorboden; er hatte aber ein Kind im Schnabel, das schön wie ein Engel, und seine Händchen nach der Königin ausstreckte. Er legte es ihr auf den schoss, und sie herzte und küsste es, und war vor Freude außer sich. Der Storch nahm, bevor er wieder wegflog, seine Reisetasche von der Schulter herab und überreichte sie der Königin. Es steckten Düten darin mit bunten Zuckererbsen, sie wurden unter die kleinen Prinzessinnen verteilt. Die älteste aber erhielt nichts, sondern bekam den lustigen Schneider zum Mann. „Es ist mir geradeso,“ sprach der Schneider, „als wenn ich das große Loos gewonnen hätte. Meine Mutter hatte doch recht, die sagte
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