Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
falschen Brief unter, darin stand, dass die Mutter von Stund an seine Gemahlin verweisen möge. Wolle sie nicht fort, so würde er sie bei seiner Rückkehr von Schindershand fortbringen lassen, denn er habe sich eine andere Gemahlin erwählt, die er mitbringen würde. Die alte Königin war sehr traurig, als sie den Brief erhielt; die junge Königin aber wurde neugierig und ließ nicht ab, bis ihr die alte Königin erzählte, was ihr Sohn geschrieben habe. Von Stund an wollte die schöne Magdalene aus dem Schlosse fort, die alte Königin aber musste ihr das Kind in ein Gewand wickeln und auf den Rücken binden. So zog sie wieder aus in die weite Welt.
Nach einiger Zeit kam sie wieder in einen dichten Wald, wo zur Seite sich ein Thal ausdehnte. Ihr Kind, das sie auf dem Rücken trug, wimmerte und sie konnte es nicht stillen, denn sie vermochte es mit dem Armstumpf nicht zu regieren. Da vernahm sie ein furchtbares Brüllen ganz in ihrer Nähe, und sie sah, dass es ein Löwe war. Der hob die Pfote auf, als er sie erblickte, und daran merkte sie, dass er sich einen Dorn in den Fuß getreten hatte. Da öffnete sie mit dem Munde das Bündel, worin sie das Kind auf dem Rücken trug und ließ es neben sich zur Erde niedergleiten. Die schöne Magdalene kniete vor dem Löwen nieder und wollte mit dem Munde dem Löwen den Dorn aus dem Fuße ziehen, aber es gelang ihr nicht. Da hörte sie plötzlich eine Stimme. Sie sah sich im Walde um, erblickte aber Niemand und hörte auch nichts mehr. Bald ertönte die Stimme von neuem und nun vernahm sie deutlich die Worte: „Schöne Magdalene, geh hinunter ins Thal, setze dich auf die Knie in dem Wasser und tauche deine Schulterblätter hinein, so wirst du deine Arme wieder erhalten.“ Die schöne Magdalene musste nun ihr Kind neben dem Löwen liegen lassen.
Wie die schöne Magdalene ins Thal hinab kam, hörte sie schon das Wasser im Gebüsch rieseln. Sie kniete darin nieder und tauchte ihre Schulterblätter hinein, und wie sie diese herauszog, saßen ein paar runde schöne Arme daran. Da eilte sie zu ihrem Kinde, das der Löwe unterdessen wie ein Erzengel bewacht hatte. Zuerst hob sie das mit den Armen auf und reichte ihm die Brust, und der Löwe harrte geduldig, bis sie es gesäugt hatte. Dann aber legte sie es wieder auf den Boden nieder und zog dem Löwen den Dorn aus der Pfote. Hierauf nahm sie ihr Kind wieder auf den Rücken, ging am Wasser herunter, der Löwe aber schritt nun immer hinter ihr und dem Kinde her und folgte ihr auf den Fersen. Sie suchte wiederum das heilsame Wasser im Thale auf, in das sie ihre Schulterblätter getaucht hatte, denn sie meinte, es werde sie zu einer menschlichen Wohnung führen. Als die Nacht hereinbrach, da kam sie vor ein Haus, da ging sie hinein und darin standen zwei Stühle und ein gedeckter Tisch mit Speise. Als sie sich etwas erholt hatte, kam ein weißes Männchen, dem graute gewaltig vor dem Löwen, denn er lag der schönen Magdalene gerade zu Füßen. Die schöne Magdalene rief ihm zu, vor dem Löwen brauche er sich nicht zu fürchten, da trat das weiße Männchen näher und fragte sie, woher sie käme. Sie aber verhehlte nichts was sie erlebt hatte. Da erklärte das weiße Männchen, sie solle dort bleiben und es wolle schon für sie Sorge tragen. Wenn sie Hunger habe, solle sie nur sagen:
Tischchen decke dich,
Gläschen fülle dich, -
so würde Alles ankommen, was nur ihr Herz begehre. Das tat sie auch, und so oft sie es sagte, kamen die leckersten Speisen und die kostbarsten Weine, und obenein stand noch etwas Marzipan auf dem Tische. So lebte sie einige Zeit in dem Hause, und war in der Regel dort ganz einsam, denn das weiße Männchen war meistens auswärts. Unterdeß kam ihr Gemahl wieder aus dem Kriege und vernahm Alles was mit ihr geschehen war. Nun stellte der König, der um seine Magdalene keine Ruhe hatte, eine große Jagd an, hatte auch selbst das Glück, am Abende in jenem Hause das Licht schimmern zu sehen, nachdem er sich von seinen Dienern und Genossen verirrt hatte. So kam er vor das Haus, klopfte an und die schöne Magdalene erkannte ihn sogleich an der Stimme. Allein der Löwe wollte nicht leiden, dass der König zu der jungen Frau hereinkäme. Da schlug sie den Löwen, da wurde er still und der König trat herein. Der fragte woher sie sei und warum sie in diesem kleinen Hause wohne. Sie aber bekannte Alles was mit ihr geschehen war. Da erkannte sie der König als seine Gemahlin und war voller Freude, dass mit der
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