Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
den Ofen heitzten, und eine rote Kuh schoss das Brot in den Ofen. Da krähte ein Huhn „kickeriki, das Märchen ist auserzählt, kickeriki.“
Brüderchen und Schwesterchen
Brüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sprach „seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr; die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch gehts besser: dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu. Dass Gott erbarm, wenn das unsere Mutter wüsste! Komm, wir wollen miteinander in die weite Welt gehen.“
Sie gingen den ganzen Tag über Wiesen, Felder und Steine, und wenn es regnete, sprach das Schwesterchen „Gott und unsere Herzen die weinen zusammen!“ Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so müde von Jammer, Hunger und dem langen Weg, dass sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.
Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Brüderchen „Schwesterchen, mich dürstet, wenn ich ein Brünnlein wüsste, ich ging und tränk einmal; ich mein, ich hört eins rauschen.“ Brüderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das Brünnlein suchen.
Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht. Als sie nun ein Brünnlein fanden, das so glitzerig über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trinken: Aber das Schwesterchen hörte, wie es im Rauschen sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Tiger: wer aus mir trinkt, wird ein Tiger.“ Da rief das Schwesterchen „ich bitte dich, Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und zerreisst mich.“ Das Brüderchen trank nicht, ob es gleich so großen Durst hatte, und sprach „ich will warten bis zur nächsten Quelle.“
Als sie zum zweiten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterchen wie auch dieses sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Wolf: Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.“ Da rief das Schwesterchen „Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Wolf und frisst mich.“ Das Brüderchen trank nicht und sprach „ich will warten, bis wir zur nächsten Quelle kommen, aber dann muss ich trinken, du magst sagen, was du willst: mein Durst ist gar zu groß.“
Und als sie zum dritten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Reh: wer aus mir trinkt, wird ein Reh.“ Das Schwesterchen sprach „ach Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort.“ Aber das Brüderchen hatte sich gleich beim Brünnlein nieder geknieet, hinab gebeugt und von dem Wasser getrunken, und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, lag es da als ein Rehkälbchen.
Nun weinte das Schwesterchen über das arme verwünschte Brüderchen, und das Rehchen weinte auch und saß so traurig neben ihm. Da sprach das Mädchen endlich „sei still, liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen.“ Dann band es sein goldenes Strumpfband ab und tat es dem Rehchen um den Hals, und rupfte Binsen und flocht ein weiches Seil daraus. Daran band es das Tierchen und führte es weiter, und ging immer tiefer in den Wald hinein. Und als sie lange lange gegangen waren, kamen sie endlich an ein kleines Haus, und das Mädchen schaute hinein, und weil es leer war, dachte es „hier können wir bleiben und wohnen.“ Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu einem weichen Lager, und jeden Morgen ging es aus und sammelte sich Wurzeln, Beeren und Nüsse, und für das Rehchen brachte es zartes Gras mit, das fraß es ihm aus der Hand, war vergnügt und spielte vor ihm herum. Abends wenn Schwesterchen müde war und sein Gebet gesagt hatte, legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das war sein Kissen, darauf es sanft einschlief. Und hätte das Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es wäre ein herrliches Leben gewesen.
Das dauerte eine Zeitlang, dass sie so allein in der Wildnis waren. Es trug sich aber zu, dass der König des Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schallte das Hörnerblasen, Hundegebell und das lustige Geschrei der Jäger durch die Bäume, und das Rehlein hörte es
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