Der Bademeister: Roman (German Edition)
I
Ich bin der Bademeister, ich habe nie viel gesprochen. Das Schwimmbad ist geschlossen. Seit Wochen steht das Gebäude leer.
Einsturzgefahr! Vor der Schwimmhalle steht ein Schild. Einsturzgefahr! Betreten der Schwimmhalle verboten!
Ein Placken Putz ist aus der Wand gebrochen.
Der Hausmeister hat nicht lange gezögert. Rasch war die Bauaufsicht verständigt, um die Statik der Schwimmhalle und des Schwimmbeckens zu untersuchen. Die Zuständigen haben gleich gesehen, dass der Verfall unaufhaltbar ist, das Becken sich gesenkt hat.
Ich habe nie viel gesprochen, aber in allem, was das Schwimmbad angeht, kenne ich mich besser aus als jeder andere. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht.
Sie dürfen sich vom derzeitigen Zustand des Schwimmbads nicht täuschen lassen.
Der beginnende Verfall sollte die Schließung rechtfertigen. Da man die Entscheidung im Herbst getroffen hat, unmittelbar vor dem Winter, ist der Verfall rasch vorangeschritten. Ein Gebäude, das nicht beheizt wird, fängt Feuchtigkeit, und bisher unversehrte Wände beginnen zu schimmeln. Hätte ich nicht in den vergangenen drei Wochen die Öfen geheizt, wären womöglich die Rohre, in denen noch immer Wasser steht, eingefroren und geplatzt. Die Überschwemmung würde sich erst in der Schwimmhalle und dann im Keller ausbreiten und die Heizanlagen zerstören. Das Wasser würde bis auf die Straße laufen. Die Folgen einer Überschwemmung sind unabsehbar.
Ich bin dafür verantwortlich, dass keiner ertrinkt. Das tiefe Becken und der Nichtschwimmerbereich müssen deutlich getrennt sein.
Ein Placken Putz war oberhalb der Kacheln aus der Wand herausgebrochen, der Zustand des Gebäudes und die Statik des Schwimmbeckens mussten untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung anzuzweifeln, maße ich mir nicht an. Als Bademeister ist man für die Sicherheit der Badegäste und für die Qualität des Wassers zuständig. Ich möchte mich nicht beklagen, dass man es mir unmöglich machte, das Wasser in gutem Zustand zu halten. Die gefallenen Entscheidungen konnte ich nicht abwenden, und ich selbst habe das Wasser abgelassen.
Ich habe nie viel gesprochen, keiner durfte das erwarten, aber was notwendig war, habe ich laut und deutlich gesagt: Achtung Nichtschwimmer! An seiner tiefsten Stelle ist das Becken drei Meter tief.
Dem unbeteiligten Auge mag das Volks- und Schwimmbad wie ein altes oder sogar veraltetes Gebäude erscheinen. Es ist fast hundert Jahre alt, Anfang des Jahrhunderts wurde es eröffnet, und in den ersten Jahren lag die Zahl der Benutzer bei dreitausend Badegästen in der Woche. Die Heizanlagen wurden vor fünfzehn Jahren erneuert, und obwohl die Öfen noch bis heute mit Kohle beheizt werden, waren die Luft- und Wassertemperaturen immer angenehm. Nur Böswilligkeit wird behaupten, das Schwimmbad sei heruntergekommen. Mängel, die ich nicht abstreiten möchte, werden durch die Besonderheiten der Architektur und der Ausstattung aufgewogen.
Ich gehe davon aus, dass Sie von solcher Böswilligkeit frei sind. Ich habe nie viel gesprochen und mir während meines Berufslebens die strengste Zurückhaltung auferlegt. Aber es ist notwendig geworden, diese Zurückhaltung zu durchbrechen. Seit Wochen kümmert sich, wie ich bezeugen kann, niemand um die Belange des Schwimmbads. Ich habe Gründe, anzunehmen, dass Sie mich hören und werde Ihnen den Zustand des Bads schildern. Wenn ich mich auch un-rechtmäßig hier aufhalte, können Sie doch an meiner Kompetenz nicht zweifeln. Ich bin der Bademeister, mein ganzes Leben habe ich hier verbracht.
Man hat verschiedentlich versucht, mich zu verleumden. Das ist ungerecht. Ich habe nie viel gesprochen, und wenn ich die Angewohnheit habe, mit mir selbst zu sprechen, geht das niemanden etwas an. Keiner ist ertrunken. Wochen habe ich damit zugebracht, schweigend in der Schwimmhalle zu sitzen und das Wasserbecken zu betrachten. Eine dünne Schicht Staub bedeckt die Kacheln, schwärzlicher Staub, in dem meine Schritte Abdrücke hinterlassen haben. Vom Rand sieht man deutlich, wo ich die Treppen hinuntergegangen bin und weiter, durch den Nichtschwimmerbereich und durchs ganze Becken. Die länglichen, türkisen Kacheln sind versetzt angeordnet; unter dem Wasser erzeugte ihre absichtlich ungleichmäßige Färbung den Eindruck eines natürlichen Gewässers. Der Staub erstickt jetzt die Farben, dämpft sie zu einem stumpfen Grau, das durch meine Fußabdrücke unterbrochen wird. Seit fast hundert Jahren gibt es dieses
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