Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
da habe ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu raten weiß, und wenn du mir nicht versprichst ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muss, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe schließen.“ Da antwortete der getreue Johannes „ich will ihn nicht verlassen, und will ihm mit Treue dienen, wenns auch mein Leben kostet.“ Da sagte der alte König „so sterb ich getrost und in Frieden.“ Und sprach dann weiter „nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloss zeigen, alle Kammern, Säle und Gewölbe, und alle Schätze, die darin liegen: aber die letzte Kammer in dem langen Gange sollst du ihm nicht zeigen, worin das Bild der Königstochter vom goldenen Dache verborgen steht. Wenn er das Bild erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden, und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwegen in große Gefahren geraten; davor sollst du ihn hüten.“ Und als der treue Johannes nochmals dem alten König die Hand darauf gegeben hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.
Als der alte König zu Grabe getragen war, da erzählte der treue Johannes dem jungen König, was er seinem Vater auf dem Sterbelager versprochen hatte, und sagte „das will ich gewisslich halten, und will dir treu sein, wie ich ihm gewesen bin, und sollte es mein Leben kosten.“ Die Trauer ging vorüber, da sprach der treue Johannes zu ihm „es ist nun Zeit, dass du dein Erbe siehst: ich will dir dein väterliches Schloss zeigen.“ Da führte er ihn überall herum, auf und ab, und ließ ihn alle die Reichtümer und prächtigen Kammern sehen: nur die eine Kammer öffnete er nicht, worin das gefährliche Bild stand. Das Bild war aber so gestellt, dass, wenn die Türe aufging, man gerade darauf sah, und war so herrlich gemacht, dass man meinte es leibte und lebte, und es gäbe nichts Lieblicheres und Schöneres auf der ganzen Welt. Der junge König aber merkte wohl ,dass der getreue Johannes immer an einer Tür vorüberging und sprach „warum schließest du mir diese niemals auf?“ „Es ist etwas darin“, antwortete er, „vor dem du erschrickst.“ Aber der König antwortete „ich habe das ganze Schloss gesehen, so will ich auch wissen, was darin ist,“ ging und wollte die Türe mit Gewalt öffnen. Da hielt ihn der getreue Johannes zurück und sagte „ich habe es deinem Vater vor seinem Tode versprochen, dass du nicht sehen sollst was in der Kammer steht: es könnte dir und mir zu großem Unglück ausschlagen.“ „Ach nein“, antwortete der junge König, „wenn ich nicht hineinkomme, so ists es mein sicheres Verderben: ich würde Tag und Nacht keine Ruhe haben, bis ichs mit meinen Augen gesehen hätte. Nun gehe ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast.“
Da sah der getreue Johannes, dass es nicht mehr zu ändern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schlüssel heraus. Als er die Türe geöffnet hatte, trat er zuerst hinein und dachte er wolle das Bildnis bedecken, dass es der König vor ihm nicht sähe: Aber was half das? Der König stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm über die Schulter. Und als er das Bildnis der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold und Edelsteinen glänzte, da fiel er ohnmächtig zur Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf, trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen „das Unglück ist geschehen, Herr Gott, was will daraus werden!“ Dann stärkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam. Das erste Wort, das er sprach, war „ach! wer ist das schöne Bild?“ „Das ist die Königstochter vom goldenen Dache“, antwortete der treue Johannes. Da sprach der König weiter „meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blätter an den Bäumen Zungen wären, sie könntens nicht aussagen; mein Leben setze ich daran, dass ich sie erlange. Du bist mein getreuster Johannes, du musst mir beistehen.“
Der treue Diener besann sich lange, wie die Sache anzufangen wäre, denn es hielt schwer, nur vor das Angesicht der Königstochter zu kommen. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem König „alles, was sie um sich hat, ist von Gold, Tische, Stühle, Schüsseln, Becher, Näpfe und alles Hausgeräth; in deinem Schatze liegen fünf Tonnen Goldes, lass eine von den Goldschmieden des Reichs verarbeiten zu allerhand Gefäßen und Gerätschaften, zu allerhand Vögeln, Gewild und wunderbaren Tieren,
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