Das gruene Gewissen
entsprechenden Selbstbewusstsein und einem technikbasierten Fortschrittsdiskurs geführt haben, gab es in Deutschland immer schon eine besondere Form der Technikskepsis. In beidem, der Gestaltung der Technik wie der Sorge um ihre Folgen, offenbart sich derselbe Geist.
Nicht anders als in der Technik, sind die Deutschen daher auch bei ihrem Naturbild immer einem strengen Ordnungsbegriff gefolgt, sind Gestalter der Landschaften gewesen und eben nicht nur Anhänger einer möglichst unveränderten, „ursprünglichen“ Natur, wie Verfechter des heutigen grünen Lebensgefühls insinuieren. Die romantische Natur war stets nur ein Seitenpfad des erbitterten Willens, die Natur zu unterwerfen und zu gestalten. Sie diente als Religionsersatz in einer von Aufklärung und Säkularisierung stärker als andere Länder beeinflussten Gesellschaft.
Die Deutschen haben in einer besonders mythisch aufgeladenen Epoche ihrer Geschichte sogar aus der Trockenlegung von Mooren und Sümpfen oder dem Begradigen von Flussläufen eine kulturelle Überlegenheit bis hin zum Chauvinismus gegenüber anderen, zumeist slawischen Völkern abgeleitet; so, wie die Germanen einst selbst den Römern im Bau von Siedlungen und Bewässerungssystemen hoffnungslos unterlegen waren. Der amerikanische Historiker David Blackbourn hat dies in einem hierzulande weitgehend unbeachtet gebliebenen Buch gezeigt. 27 Die „Walachei“ ist in unserem Sprachgebrauch zum Inbegriff des Hinterwäldlerischen geworden.
Etwas davon lebte lange fort: Ich erinnere mich an Fahrten in den achtziger Jahren, die uns in Kinderferienlager noch Polen führten. Die Überheblichkeit der Erzieher war subtil, aber spürbar, wenn wir aus dem fahrenden Bus auf verfallene Gehöfte, steppengleich wuchernde Felder, kurz: eine nicht kultivierte Natur schauten. Die Natur war in Deutschland seit den preußischen Landschafts- und Gartengestaltern dann eine gute, wenn sie das Auge erfreute – nicht, wenn sie sich entfaltete, zumindest noch nicht. Schönheit und Wohlgestalt im menschlichen Sinne, nicht das Ungezügelte und Primitive, wurden zu Kriterien einer guten Landschaft.
Naturgeschichte war und ist somit zwangsläufig immer auch Technikgeschichte gewesen, zumal in einem Land, das als letztes zum Konzert der großen europäischen Staaten stieß und sich in den Worten Helmuth Plessners als „verspätete Nation“ empfand. Die den Deutschen unterstellte Technikfeindlichkeit ist in ihrer Pauschalität somit ein Klischee, und ein falsches zudem. Einer der wenigen Mythen der deutschen Nachkriegsgeschichte war das Wiedererstarken der Industrie und ihrer weltweit nachgefragten Produkte. Wo andere Länder Nationalmythen um Kriege und Revolutionen pflegten, glaubten die sich den Mythen der Vergangenheit entledigenden Deutschen an die identitätsstiftende Wirkung der Technik. „Überspitzt gesagt“, schreibt Herfried Münkler in seiner Mythengeschichte, „löste der Mercedesstern das Eiserne Kreuz der Kriegsgeneration ab.“ 28
Doch dabei blieb es nicht. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Umweltschutz und das grüne Denken am Technikmythos anknüpften und zu einem „Narrativ“ geworden sind, auf das viele Deutsche heute ebenso stolz sind wie sonst vielleicht nur auf die Errungenschaften der Technik. Das grüne Gewissen trat an die Stelle anderer Nationalmythen. Die Zunahme von Umweltthemen könnte dabei auch auf den Wegfall bis dato präsenter gesellschaftspolitischer Ideale und Auseinandersetzungen mit dem jeweils anderen Deutschland nach dem Jahr 1989 deuten, das überden auch in anderen Ländern zu beobachtenden Postmaterialismus hinaus ein weltanschauliches Vakuum schuf.
Goethe und kein Ende: Die Entdeckung der „Ganzheit“
Begeben wir uns zum Abschluss noch einmal kurz in eine weiter zurückliegende Vergangenheit, in der das Bild der Natur sich veränderte: den Anbruch des wissenschaftlichen Zeitalters. Mit ihm wurde die Natur parallel zur Innerlichkeit und der Suche nach dem „Ich“ zunehmend zum Gegenstand einer Objektivierung. Insofern haben die Wissenschaften einen wichtigen Anteil am modernen Verständnis der Natur (im Sinne eines Fragens nach Teilaspekten), aber auch an ihrer Verklärung (im Sinne einer Sehnsucht nach Ganzheit als Antwort darauf).
Die Mathematisierung der Naturwissenschaften, die man heute mit dem 19. Jahrhundert verbindet, wurde bereits im 17. Jahrhundert vorbereitet. Während man in England seinerzeit von der Physik als einer objektiven
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