Das Hagebutten-Mädchen
wollte, jeder war ihr wichtig, sogar Greven mit seinem dämlichen Kommentar eben.
Die Tür öffnete sich langsam und Meint Britzke lugte zum Türspalt herein, »‘tschuldige, Wencke. Du siehst wirklich toll aus. Umwerfend sozusagen. Wir sind nur viel zu überrascht, um dir die passenden Komplimente zu machen!«
»Ihr seid echte Trottel!«, maulte Wencke. Doch als ihr der liebste Kollege die Hand entgegenstreckte und ein heißer schwarzer Kaffee seinen Duft im Büro verbreitete, musste sie lächeln. »Ich mache das alles nur für euch!«
Nun schob sich Meint ganz ins Zimmer und setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches. »Wir wissen es auch alle zu schätzen, Wencke. Wirklich!« Er schaute sie von der Seite an. »Aber irgendetwas ist doch mit dir los. Abgesehen von dem Stress, den sie dir von Hannover aus aufbrummen. Es ist noch etwas anderes, oder nicht?«
Wencke mochte Britzke sehr. Er hatte immer an ihrer Seite gearbeitet, seit sie in Aurich war, schon vor der Beförderung zur Hauptkommissarin. Er war zwar spießig, hatte einen Schnauzbart und an seinem silbermetallicfarbenen Opel-Familienkombi klebte hinten neben dem Deutschland-Oval noch ein Aufkleber aus dem Harz, wo er mit seiner Frau und den zwei Kindern jedes Jahr Urlaub auf dem Bauernhof machte. Aber er war in Ordnung. Und er hatte sie nie ändern wollen, sie nie belehrt. Nicht so wie Axel Sanders, der, als er noch bei ihnen gewesen war, seine Nase immer gerümpft hatte, wenn sie ihre Unterlagen nicht geordnet hatte oder zu spät zum Dienst erschienen war. Meint Britzke war so zuverlässig und nachsichtig wie ein braver Hund. Doch sie wollte ihm auf keinen Fall erzählen, was mit ihr los war. Sie ärgerte sich, dass man ihr die Krise schon deutlich anzumerken schien.
»Meint, sei so lieb, frag mich nicht nach solchen Dingen.« Dann nahm sie den letzten Schluck vom Kaffee und reichte ihm die Tasse. »Ich danke dir.« Er nickte kurz und man merkte ihm seine Unzufriedenheit an, aber schließlich ließ er sie allein und zog leise die Tür hinter sich zu.
Wencke seufzte. Wie sollte er ihr helfen? Bei einem Problem, das ganz neu für sie war und welches ihr zudem noch albern und lächerlich vorkam?
Wencke war letzten Monat Tante geworden. Ihr Bruder Jasper, Fotograf auf Norderney, hatte vor elf Monaten seine wahre Liebe getroffen, sie geschwängert, geheiratet und nun eine kleine Familie gegründet. Emilie hieß die Kleine, hatte langes, schwarzes Haar und Finger so winzig wie Suppennudeln. Wenn Emilie schlief, machte sie zufriedene Schmatzgeräusche, und wenn sie trank auch. Wencke hatte dieses schmatzende Päckchen auf dem Arm gehabt. Und mit einem Mal gespürt, dass sie auch so etwas wollte. So ein Kind und so eine wahre Liebe und alles, was dazugehörte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt: Biologische Uhr, hatte ihre neue Schwägerin wissend gelächelt. Darüber hatte Wencke sich sehr geärgert, weil sie diesen Ausdruck ganz schrecklich fand, genau wie den Glauben, jede Frau sei zum Mutterdasein auserkoren. Die ersten paar Tage hatte sie sich noch dagegen gewehrt. Und schließlich hatte sie sich dieses Kostüm mit weißer Bluse und braunen Lederpumps gekauft. Und die Haare bei ihrer Friseurin färben lassen und sich nicht wie sonst immer das Rot selbst in die Haare geschmiert. Nun war es an der Zeit, den kupferroten Kurzhaarschnitt in Zukunft der Fachfrau zu überlassen.
Dass Wencke ihren innig geliebten Kater vor sechs Wochen hatte einschläfern lassen müssen, kam noch erschwerend hinzu. So war es also jetzt: Sie war alt, na ja, fast dreiunddreißig, einsam und von Hormonen gepiesackt.
Dieses Problem ausgerechnet in ihrem ausschließlich männlichen Kollegenkreis zum Besten zu geben, war undenkbar.
Wencke schaute ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe an. Es gefiel ihr, was sie da sah. Britzke und Greven würden sich vielleicht an diesen Anblick gewöhnen müssen. Es war ein Samstagmorgen im März und sie hatte noch eine Stunde bis zum Termin. Vielleicht sollte sie sich einmal die Nägel lackieren?
Samstag, 20. März, 7.45 Uhr
D er Türke hatte Recht. Auf den ersten Blick konnte man nicht erkennen, ob die Gestalt im Schaufenster nur schlief oder ob sie tot war.
Was Axel Sanders allerdings auf den ersten Blick erkennen konnte, war, dass es sich bei der Gestalt um den Geschäftsinhaber handelte, um Kai Minnert. Er trug eine auffällige Jacke aus Segeltuch, sie leuchtete gelb zwischen all dem verstaubten Gerümpel. Es war eine Jacke, die man
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