Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
heiße Träne lief über ihre Wange. Stina wollte die Hand heben, um sie fortzuwischen, aber diese kleine Bewegung bedeutete für sie eine unglaubliche Kraftanstrengung und ließ sie kraftlos zusammensinken. Sie fühlte sich wie ausgelaugt, so als wäre ihrem Körper sämtliche Energie entzogen worden.
Was Patrick jetzt wohl gerade machte? Ob er ihr Verschwinden bereits bemerkt hatte und nach ihr suchte? Würde er überhaupt nach ihr suchen?
Sie schüttelte den Kopf. Es sollte ihr gleichgültig sein, wie es ihm ging. Doch auch nach allem, was er ihr angetan hatte, brachte sie es noch immer nicht fertig, sich ihn aus ihrem Herzen zu reißen. Dennoch hoffte sie, dass es ihr im Laufe der Zeit gelingen würde, ihr Leben selbstständig in den Griff zu bekommen. Denn eines stand fest: Sie würde Patrick niemals wiedersehen.
Auf gewisse Weise war sie froh, dass ihre Erinnerung endlich zurückgekehrt war. Es schmerzte zwar furchtbar, sich mit all den Dinge auseinandersetzen zu müssen, die zwischen Patrick und ihr vorgefallen waren, doch wenigstens hatte sie ihr Gedächtnis zurückerlangt, und damit wusste sie auch, dass sie nicht völlig allein dastand.
Nachdem sie den Wagen abgestellt hatte, war sie eine Weile lang planlos durch die Bahnhofshalle gelaufen. Wohin sollte sie gehen? An wen sich wenden? Ihre Eltern lebten nicht mehr, und nach Stockholm wollte sie auch nicht, denn dort würde Patrick sicherlich als Erstes nach ihr suchen. Dann war ihr Tante Ludmilla eingefallen.
Ludmilla Åkesson war die ältere Schwester ihrer verstorbenen Mutter und lebte auf Öland. In ihrer Kindheit hatte Stina oft ihre Sommerferien bei ihrer Tante verbracht. Sie hatten immer ein gutes Verhältnis zueinander gehabt, sich jedoch später irgendwie aus den Augen verloren. In den vergangenen Jahren hatten sie ein paar Mal miteinander telefoniert und sich dann das letzte Mal auf der Beerdigung von Stinas Eltern gesehen. Dementsprechend war Tante Ludmilla auch aus allen Wolken gefallen, als Stina plötzlich bei ihr angerufen hatte, um sie um ihre Hilfe zu bitten. Dennoch hatte sie erfreut zugesagt.
Und so befand sich Stina jetzt auf dem direkten Weg zur Fähre nach Öland. Die Landschaft, die am Fenster ihres kleinen Abteils vorüberzog, war einfach traumhaft. Es war sonnig, der Himmel fast wolkenlos. Saftige Wiesen, auf denen Kühe grasten, und gelb leuchtende Rapsfelder wechselten sich ab mit dichten, immergrünen Wäldern. Doch Stina nahm davon kaum etwas wahr. In ihren Gedanken war sie, obwohl sie es nicht wollte, bei Patrick.
Noch immer konnte sie nicht verstehen, wie es zwischen ihnen so weit hatte kommen können. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Schon in dem Moment, in dem sie Patrick zum ersten Mal gesehen hatte, war ihr klar geworden, dass sie ohne ihn niemals richtig glücklich werden konnte. Doch was war von ihren Träumen und Hoffnungen geblieben? Stina stand vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Und nur Demi hatte sie es zu verdanken, dass sie endlich klarsah. Es fiel ihr noch immer schwer zu begreifen, dass sie sich so in Patrick getäuscht hatte. Sie liebte ihn, und sie war davon überzeugt gewesen, dass er ebenso für sie empfand. Doch in Wahrheit hatte er sich in etwas ganz anderes verliebt – in ihr Vermögen. Die Enttäuschung war so groß, dass ihr schon wieder Tränen in die Augen stiegen.
“Ihre Fahrkarte, bitte.”
Irritiert blickte Stina auf. Sie hatte nicht bemerkt, dass der Schaffner das Abteil betreten hatte, um ihr Ticket zu kontrollieren. Sie rang sich ein Lächeln ab und kramte den Papierabschnitt aus ihrer Jackentasche. Als sie wieder allein war, atmete sie tief durch und schloss die Augen. Ein Fehler, denn schon sah sie Patricks Gesicht vor sich. Ob sie ihn jemals vergessen würde? Sie hoffte es inständig, zweifelte aber daran. Sicher war sie sich nur darüber, dass sie niemals wieder einen Mann so lieben und ihm vertrauen würde wie Patrick.
Stina sah seufzend auf ihre Armbanduhr. In ein paar Stunden würde sie Öland erreicht haben. Dann konnte ihr neues Leben beginnen. Freuen konnte sie sich über diese Aussicht allerdings nicht richtig. Tante Ludmilla mochte eine nette und herzensgute Frau sein, doch ihren Ehemann konnte sie Stina nicht ersetzen. Und mit diesem würde sie nur noch über einen einzigen Weg kommunizieren – nämlich über einen Scheidungsanwalt.
Wenigstens über ihre finanzielle Situation brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Vor ihrer Abreise hatte Stina
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