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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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versuch dich noch mal zu erinnern, wie der Mann aussah, der in dem Korb gewühlt hat.«
    »Aber das war kein Mann!«, schrie Sima so laut, dass Rjurik von seinem Stuhl auffuhr und Borodin Ohrensausen bekam. »Wie oft soll ich das noch sagen! Das war kein Mensch! Schwarze Visage, riesige rote Augen, die Nase hing über der Oberlippe, und Hörner, echte Hörner, kapieren Sie das oder nicht? Er hat mich doch direkt angesehen, ich wär vor Angst beinahe gestorben und hab mich bekreuzigt, und er hat losgewiehert und wie wild geflucht. Klar?«
    »Also schwarzes Gesicht, rote Augen, Hörner auf dem Kopf«, wiederholte Borodin. »Und die Haare?«
    »Er hatte keine Haare. Er hatte eine Glatze, der ganze Kopf war schwarz und hat geglänzt, und obendrauf saßen Hörner, so kleine, rote.«
    »Was meinst du, war er dick oder dünn?«
    »Breite Schultern, aber nicht dick.«
    »Ist er mal von der Bank aufgestanden?«
    »Nein.«
    »Du hast also nicht gesehen, wie groß er war?«
    »Er kann jede Größe annehmen, ganz wie er will, so klein wie eine Maus oder so groß wie ein Elefant.«
    »Du sagst, er hat wild geflucht. Wie klang seine Stimme?«
    »Kreischend, hässlich.«
    »Kreischend? Also hoch? Vielleicht eine Frauenstimme?«
    »Weiß der Geier.« Sima winkte ab. »Ist doch egal! Er kann mit jeder beliebigen Stimme sprechen, ganz wie er will, ob Bass, Tenor oder hoher Sopran. Bei mir hat er gequiekt wie ein Schwein.«
    »Aha, ich verstehe.« Borodin nickte. »Und von hinten, sagst du, sah er ganz normal aus?«
    »Ja, ganz normal. Ein blaues T-Shirt.«
    Borodin fiel ein, dass Ljussja ein blaues T-Shirt besaß, und er fragte traurig: »Und die Hörner? Waren die denn von hinten nicht zu sehen?«
    »Ach, was weiß ich! Stell dir vor, du gehst friedlich deiner Wege, zum Container, leere Flaschen einsammeln, wie jedernormale Mensch, und da sitzt ein Bursche auf der Bank. Kuckst du dir den etwa genau an? Ich dachte, er hätte eben so eine Mütze auf.«
    »Er trug also eine Maske.« Borodin seufzte erschöpft und sah den Reviermilizionär an. »Es gibt spezielle Läden, wo solche Horrormasken verkauft werden. Unser Mörder trug also eine Teufelsmaske mit Hörnern. Ein Witzbold.«
    »Sie glauben mir nicht?«, kreischte Sima. »Sie denken, das bilde ich mir im Suff ein? O nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Die letzte Zeit ist angebrochen. Er wird weiter töten, ohne Unterschied, alle nacheinander, Sünder und Gerechte. Und wenn ihr sämtliche Bullen auf die Beine bringt – den kriegt ihr nie!«

Drittes Kapitel
    Die Zwillinge verließen die Villa der Redaktion des Magazins »Blum« und gingen in Richtung Alter Arbat. Sie hatten noch drei Stunden bis zu ihrem Treffen mit dem Fotografen Nikolai und besaßen insgesamt zehn Rubel – das reichte für zwei Piroggen mit Kohl oder für zwei Portionen Eis. Sie waren mit dem Sieben-Uhr-Zug aus Lobnja gekommen; sie hatten sehr früh aufstehen müssen und nicht gefrühstückt, und Solodkin hatte ihnen nicht einmal Kaffee angeboten.
    Im Frühjahr waren sie siebzehn geworden. Nun konnten sie einmal in der Woche nach Moskau fahren und erhielten etwas Taschengeld. Sie bummelten gern durch die Stadt. Aufgewachsen in Sonderkinderheimen außerhalb der Stadt, hinter Betonmauern, ließen sie sich berauschen vom Geruch nach Benzin und heißem Asphalt, von Glanz und Lärm, vom bunten Treiben auf den Straßen der Stadt, von schicken Restaurants und Limousinen, von Männerblicken und von ihrem eigenen Spiegelbild in den Schaufenstern.
    Selbst Kinder und Greise schauten sich nach ihnen um. Schicke ausländische Wagen bremsten neben ihnen. Ihre Beine,Schultern und Rücken waren von bronzener Bräune, ihr langes hellblondes Haar wehte und glänzte in der Sonne. Sie waren beide hochgewachsen, einsachtzig plus acht Zentimeter Plateausohle, schlank wie afghanische Borsois, und sie sahen vollkommen gleich aus.
    Geld besaßen sie nur sehr wenig, darum dachten sie unentwegt daran, bewunderten die Kleider in den Schaufenstern exklusiver Geschäfte, und ihre blauen Augen wurden noch durchsichtiger und leuchtender, und ihre Wangen färbten sich zartrot.
    »Wir hätten bei Solodkin wenigstens Kippen schnorren sollen.« Ira seufzte und nahm eine Schachtel mit nur noch zwei Zigaretten aus der Tasche.
    Die Mädchen blieben stehen und beobachteten durch einen efeubewachsenen Gitterzaun hindurch, wie in einer teuren Grillbar die Tische eingedeckt wurden. Schneeweiße gestärkte Tischdecken flogen auf, gepflegte Kellner mit

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