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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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gebreitet, und Zofia gurrte: »O Phiilip, ist das nicht wunderschön!«
    Das war es. Doch die salzigen Schaumkrönchen, die im Wasser treibenden Zweige und die aalähnlichen Halme der Wasserschraube hatten schon angefangen zu ebben. Unbeachtet glitten sie am Rumpf der
Memory
vorbei, während das bißchen Brise, das da war, uns landeinwärts schob. Ziemlich bald gab es einen leichten Ruck, und die
Memory
saß im Schlamm fest.
    »O je!« sagte Zofia.
    Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Segel niederzuholen und auf die Flut zu warten. Zofia bekümmerte das nicht die Spur.
    Es wurde dunkel. Der Mond ging auf. Von den Schlammbänken herüber schrie der Brachvogel. Zofias Hunde schliefen auf den Bodenbrettern ein. Die Nacht füllte sich mit leisen Geräuschen.
    Zuerst schwiegen wir.
    Dann fing Zofia an zu singen. Sie sang mit dunkel getönter Stimme, einer Stimme voll slawischer Ironie. Sie sang ein weißrussisches Lied von einem Priester und dessentotem Hund. Sie versuchte es mir beizubringen, aber ich bekam die Laute nicht zustande. Dann erzählte sie eine Geschichte von einem Liebespaar, einer Fähre über den Njemen und einem Mord; ich sollte entscheiden, wer schuld hatte.
    »Der Mann?«
    »Vielleicht . . .«
    »Die Frau?«
    »Vielleicht . . .«
    »Der Fährmann?«
    Sie lachte, und ihr Lachen hallte in der Bucht wider. An die Falten des Großsegels gelehnt, nahm sie sich die Verdächtigen einen nach dem anderen vor und erklärte mir, wie in der wirklichen Welt, der Erwachsenenwelt, jeder schuldig sein konnte   – oder keiner. Dann seufzte sie mit einem Blick zu den Sternen hinauf und rezitierte eins ihrer Gedichte, in dem der Dichter eine Vogelscheuche beneidet: »I wish there was no thought in me   / this head of thought exhausteth me.« (Ach wär ich doch gedankenblank   / Das Denken macht mich noch ganz krank.)
    Die Stunden verrannen, und sie überließ sich einem langen schwingenden Monolog, von den Schreien der Nachtvögel unterbrochen, über das einstige Leben in Ostpolen   – die Dörfer, die Wolfsjagden, die überlebensgroßen Menschen. Szene um Szene fiel gleich wundersamen Taukristallen auf unser gestrandetes Boot: Trauerequipagen im Schnee, Leichen im Fluß, das traurige Gespenst, das klagend bei ihr auf dem Bett saß, der Dragoner, der das Flußufer entlanggaloppierte, nackt bis auf die Stulpenstiefel.
    Dann die eigentliche Flucht   – russische Panzer, die durch den Wald heranrollten, hastiges Entkommen auf Karren, das Gift, das ihre Mutter in einem Glasfläschchenbei sich trug, das dramatische Finale an der litauischen Grenze mit Kugeln, die ihnen um die Ohren pfiffen.
    Doch von allem, was sie mir an jenem Abend erzählte, war es die Geschichte vom Silber, die in meinem Knabengemüt am stärksten haftenblieb. Ein echter Schatz, kein bloß ausgedachter Schatz einer versunkenen Welt; ein echter Schatz, vor der Flucht in Pilzkörben in den Wald getragen, in einer Schonung tief vergraben, der Hoffnung preisgegeben, während die zwei zerstörerischsten Armeen, die die Welt je erlebt hatte, durch die Bäume aufeinander zu donnerten.
    »Ist er noch immer da, Zosia?«
    »Vielleicht.«
    »Warum fährst du nicht hin und siehst nach?«
    »Sie würden mir keine Erlaubnis geben.«
    »Aber irgendwann werden sie dich hinlassen, Zosia, oder?«
    »Ja.«

2.
    D ie Jahre vergingen
, und wir fuhren nicht mehr nach Cornwall. Ich brach eine langwierige Ausbildung ab, zog nach London, und Zofia und Polen versanken in dem fruchtbaren Urschlamm halbvergessener Orte und Menschen. Ich erhielt noch dann und wann Nachricht von ihr   – eine Betrachtung aus Spanien über das Thema »heiße Sonne und geistige Trägheit«, Anrufe, bei denen sie wissen wollte, ob ich verliebt sei, und mit der Post Stengel von Grasnelken und Meersenf, damit sie und Cornwall mir nie gänzlich aus dem Sinn kämen.
    Dann rief sie an, sie werde für ein halbes Jahr nach Australien fahren: ob ich ihr wohl bei der Abreise behilflich sein könne?
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Ich reise Sonntag in einer Woche. Um zwölf Uhr mittags.«
    »Von Heathrow?«
    »Nein! Von Tilbury.«
    Sie hatte sich eine Koje auf einem polnischen Frachter genommen. Ich schleppte ihre beiden Koffer die Gangway hinauf. In dem einen war ihre Kleidung (Wollsachen für den Golf von Biscaya, Baumwollkleider für die Tropen), in dem anderen Bücher. Sie stieß ihre Kabinentür auf und setzte sich auf das Bett. Vom Niedergang drangen die Rufe der Besatzung, polnische Rufe,

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