- Das Haus der kalten Herzen
vor der Hitze zurück.
Das Feuer griff auf den ganzen Raum über, lief über die Dielen bis in den nächsten Raum. Flammen fraßen Bücher und Pergamente an. Die Stoffkatze floh jaulend, ihr künstliches Fell brannte. Mercy und Claudius zogen sich aus dem Raum zurück.
Mercy versuchte zu rennen, doch es war wie in einem bösen Traum, sie konnte ihre Füße nicht heben, weil sie zu schwer waren. Claudius ging im Flur an ihr vorbei und Mercy strengte sich an voranzukommen. Das Licht schien schwächer zu werden, die Wände reckten sich hoch und höher. Sie fiel auf die Knie. Bald würden die Flammen sie einholen. Sie spürte die Hitze nicht, musste aber vom Rauch husten.
»Mercy, ich will dir helfen.« Sie schaute auf. Zu ihrer Überraschung stand Trajan neben ihr und bot ihr seine Hand.
»Vater«, sagte sie hustend. »Du kommst mich holen.« Er war jetzt älter, der Trajan ihrer eigenen Zeit, grauhaarig und erschöpft.
»Komm mit mir«, sagte er. »Weg von hier. Lass es zurück. Du hast genug gesehen. Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen. Das ist jetzt alles vorbei.«
Seine Stimme beruhigte sie. Mercy war froh, ihn zu sehen. Sie wollte sich ausruhen und schlafen. Also streckte sie die Hand aus und Trajan half ihr beim Aufstehen. Dann gingen sie vor den Flammen her, einen dunklen Korridor entlang, den sie noch nie gesehen hatte und der sich vor ihnen dehnte und streckte.
»Der Weg ist weit bis nach Hause«, sagte sie. »Ich bin müde.«
»Halte durch. Es ist nicht mehr weit.«
Nicht weit? Tage, Nächte, Monate und Jahre. Es war ein weiter Weg.
Am Ende des Korridors öffnete sich die Tür zu Mercys Zimmer. Sie trat in ihren eigenen staubigen Raum ein und legte sich in ihr weiches, vertrautes Bett.
Träume von Korridoren, versteckten Wandschränken, großen Hallen und düsteren Kellern. Hoch aufragende Treppen mit Hunderten von Stufen. Verschlossene Türme und Dachböden mit einem Gewühl von Ramsch. Mercy rannte durch die Schlösser ihres Geistes und prüfte die Türen. Überall nur leere Räume.
Was suchte sie? Sie konnte sich nicht erinnern, nur dass sie suchen musste und nicht aufhören durfte. Sie musste den Weg hinaus finden. Namenlose Dämonen waren hinter ihr her. Auf ihren leichten Traumfüßen flog sie die letzte lange Treppe zur einzigen verbleibenden Tür hinunter. Die Tür wich zurück, weiter, immer weiter. Die Dämonen kamen näher.
Mercy erwachte mit einem schrillen Schrei. Ihr Herz hämmerte. Sie schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Keuchte und atmete wieder. Im Zimmer war es halbdunkel. Es war das Zwielicht am Anfang oder am Ende des Tages. Mercy setzte sich auf und sah ihren Schrank, ihren Frisiertisch, den Schreibtisch neben ihrem Bett. Sie war in ihr eigenes, vertrautes Zimmer zurückgekommen. Die Erinnerungen wirbelten durch ihren Kopf wie ein Sturm aus Bildern und Träumen. Sie bemühte sich, den Bildern einen Sinn zu geben, Visionen und Realität auseinanderzuhalten. Trajan hatte sie hierher gebracht, so war es doch? Aus dem brennenden Haus? Es fiel ihr schwer, sich zu erinnern.
Sie verließ das Bett. Die Tür ging nicht auf. Sie war abgeschlossen. Von außen. Mercy zog die langen Vorhänge zurück und war schockiert, als sie drei Eisenstäbe vor dem Fenster sah. Das Fenster war zugenagelt. Entsetzt begriff sie, dass der Raum ein Gefängnis war. Was war geschehen? Panisch hämmerte sie gegen die Tür.
»Lasst mich raus!«, brüllte sie. »Vater! Charity! Lasst mich raus!« Das Haus war still. Dann, nach einer Weile, hörte sie in der Ferne Schritte, die in ihre Richtung eilten. Die Schritte von zwei Menschen und Stimmen. Mercy klopfte und rief wieder. Schlüsselklirren, das Schloss drehte sich. Dann traten Galatea, in einem langweiligen grauen Kleid, und Trajan selbst in das Zimmer.
»Was hat dieser Lärm zu bedeuten?«, sagte Galatea. Sie trug ein Tablett mit einem Teller dünner Grütze und einer hölzernen Tasse voll Wasser. Trajan war wieder gealtert, seine Schultern hingen, sein Haar war ganz ergraut.
»Was habt ihr mit meinem Zimmer gemacht?«, sagte Mercy. »Vater, warum sind Gitter vor den Fenstern? Ihr könnt mich jetzt frei lassen. Ich verstehe alles. Ich mache keinen Ärger mehr.«
Trajan lächelte und streichelte ihr über den Kopf. Doch er wollte ihr nicht in die Augen sehen. Stattdessen wandte er sich an Galatea.
»Armes Kind«, sagte er. »Sie hat ihre Mutter verloren, wie Sie wissen. Sie hat den Tod gesehen. Es hat sie um den Verstand
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