Mr. Fire und ich (Band 8)
1. Verzweiflung
Ich lasse Daniels SMS mindestens zum hundertsten Mal an meinen Augen vorbeiziehen:
[Wenn man mit einem Wietermann zusammen ist, darf man sich nicht vom Schein trügen lassen. Vergiss nicht, was ich dir gestanden habe.]
Wie könnte ich mich nicht auf den Anschein verlassen, Daniel?
Verbissen versuche ich, das Unbegreifliche zu begreifen. Ich habe Daniel in Begleitung einer anderen Frau gesehen. Zweimal. Damit sollte ich mich abfinden, aber dazu bin ich nicht imstande. Wie soll ich mich nach allem, was wir zusammen erlebt haben, an den Gedanken gewöhnen, dass es in Daniels Leben eine andere Frau gibt? Bis vor zwei Tagen wusste ich gar nichts über sie. Die strahlend schöne Clothilde de Saint-André. Sie ist wie eine weibliche Ausgabe von Daniel: reich, attraktiv, distinguiert … Eine ideale Zielscheibe für die Klatschpresse, denn sie ist die Erbin des Juwelierunternehmens Saint-André und Hauptkonkurrentin der Firma Tercari, an deren Spitze Daniel steht.
Meine Freundin Sarah hat mir einmal erzählt, dass sie von der Untreue eines ihrer Ex-Freunde erfahren hatte, als sie seine Seite in einem sozialen Netzwerk abrief. Er war groß auf einem Foto an der Seite einer anderen zu sehen. Sie war gedemütigt, als sie diese Beziehung und zugleich seine restlichen Kontakte entdeckte. Ich kann nun voll und ganz verstehen, wie sie sich gefühlt haben muss. Clothilde ist mir zum ersten Mal auf Glanzpapier begegnet. Lächelnd, strahlend an Daniels Seite. Eiskalt. Ihr Lächeln ging mir durch Mark und Bein. Neben diesem Foto fühlte ich mich blass, unbedeutend. Eine andere hatte meinen Platz eingenommen, ohne mein Wissen. Ich glaubte, einen sicheren Tod zu sterben, so als hätte sie mich von einer Klippe gestoßen.
Und doch bin ich immer noch da. Seelischer Schmerz ist schon etwas Merkwürdiges. Seit ich den Artikel gelesen habe und noch mehr seit ich Clothilde mit Daniel im Restaurant gesehen habe, lebe ich, funktioniere ich normal. Mein Herz liegt in Scherben, aber ich bin in der Lage zu laufen, eine SMS zu lesen oder meinen Koffer zu packen. Als ich durch die Straßen von New York lief, habe ich beschlossen, nach Paris zurückzukehren. Dabei mag ich diese Stadt mit ihrem fortwährenden regen Treiben, das unentwegte Gefühl, zu dieser Welt zu gehören … Meine besten Freunde Sarah und Tom leben dort. Ich bin mir sicher, dass ich oft ihre Unterstützung brauchen werde. Aber zum ersten Mal verspüre ich nun den dringenden Wunsch, mich vor jeder Art von Unruhe zurückzuziehen. Mein eigenes Reich wiederzufinden und mich dort niederzulassen, um nachzudenken, in aller Ruhe.
Vor einiger Zeit haben Sarah und ich einen Mietvertrag für eine Wohnung in Paris unterzeichnet. Wir wollten zu zweit dort leben und uns die Miete teilen … Dann habe ich ihr Tom vorgestellt … und die beiden sind zusammen nach New York gegangen. Heute steht die Wohnung leer. Ideale Voraussetzungen, um mich meiner Traurigkeit hinzugeben und Konsequenzen zu ziehen.
„Wenn man mit einem Wietermann zusammen ist, darf man sich nicht vom Schein trügen lassen. Vergiss nicht, was ich dir gestanden habe.“
Du hast mir deine Gefühle gestanden, Daniel, aber warum verrätst du sie dann?
Daniels Liebeserklärung werde ich niemals vergessen. Damals wären wir beide fast ums Leben gekommen. Er musste erst dem Tod ins Auge sehen, um mir sagen zu können, dass er mich liebt. Während ihm diese Wahrheit offenbar nur schwer über die Lippen gekommen ist, hatte er keinerlei Hemmungen, mich anzulügen: „Ich gehe mit Kunden essen.“ Nein, Daniel, du bist mit deiner Ex-Verlobten essen gegangen. Und das Schlimmste ist, dass ich nichts davon erfahren hätte, wenn Agathe, Tom und ich nicht zufällig dasselbe Restaurant betreten hätten wie ihr.
Warum?
Diese Frage spukt ohne Unterlass in meinem Kopf herum, aber ich finde einfach keine schlüssige Erklärung. Ich weiß nun, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann, solange ich in der Luxus-Suite der Wietermanns bleibe. Daran sind zu viele Erinnerungen geknüpft, die ich nicht mit Wut und Ressentiments mischen will. Denn das sind im Moment meine Gefühle: Ich bin wütend über den lässigen, didaktischen Tonfall der SMS, mit der er mir im Grunde genommen sagen will: „Denke dies. Vergiss nicht das.“
Von Anfang an musste ich in unserer Beziehung darum kämpfen, in den Augen meines Liebhabers zu bestehen. Er hat sich „die junge Empfangsdame des Hotels“ ausgesucht und sie verführt. Unablässig
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