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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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gelassen. Er war nicht mehr fähig, zornig zu sein, denn er hatte einen kompletten emotionalen Zusammenbruch erlitten. Auf Fragen reagierte er mit einzelnen Worten, er widersprach seinem Bruder nie und war ganz einig mit ihm, dass alles seine Schuld sei, dass er dumm und wertlos sei und eine schreckliche Strafe verdient habe. Seine Resignation machte Trajan noch wütender, der einen Felsen gebraucht hätte, gegen den er sich werfen konnte, keine Wolke.
    Vielleicht verstand Claudius das. Er hob die Hand, um seinen Bruder zum Schweigen zu bringen, und führte ihn in den zweiten Raum. Dort schlug er den Deckel der Truhe zurück und zeigte ihm Mariettas zweites Selbst. Leblos wie das Original. Trajan war erschüttert. Er beugte sich vor und studierte das Feengesicht, legte die Hand auf die Seidenwange.
    »Und du hast das geschaffen?«, sagte er.
    »Ich habe die Vorkehrungen dafür getroffen. Es war mein Entwurf.« Claudius schaute die Puppe nicht an. Sein Blick war fest auf Trajan gerichtet.
    »Zu welchem Zweck?«
    »Es sollte ein Gastkörper für Mariettas Lebenskraft sein, damit sie ewig leben könnte.« Claudius zeigte Trajan die Katze und kurz das Pergament und die alten Bücher. Mit monotoner Stimme erklärte er, wie man das Glas aus Venedig bei der Übertragung des Ka von einem Körper zum anderen einsetzte. Trajan war aufmerksam. Mercy beobachtete, wie Schock, Abscheu und sogar Bewunderung in rascher Folge über sein Gesicht zogen.
    Die Erklärung war beendet. Mit weißem Gesicht starrte Trajan ihn an.
    »Frederick hatte Recht, als er dich einen Teufel nannte«, sagte er schließlich. »Das war der Plan eines Teufels. Wie konntest du dir einbilden, dass sie sich darauf einlassen würde? Der Prozess steht im Widerspruch zu den Naturgesetzen. Zu Gottes Gesetzen. Das ist eine Abscheulichkeit.«
    Claudius erwachte aus seiner Teilnahmslosigkeit. Mit höhnischem Grinsen hob er den Kopf.
    »Wie kannst du über Naturgesetze reden?«, sagte er. »Wie können wir, die Vergas, über Gottes Gesetze reden? Wie können wir denn Teil der natürlichen Ordnung sein, wenn alle Geschöpfe Gottes sterben und wir ewig leben?«
    »Wenn ich Thekla hätte retten können, als sie im Sterben lag, und ihr ein neues Leben in diesem künstlichen Körper hätte gewähren können, hättest du ihre Rettung dann nicht gewollt?«
    Trajans Körper zuckte. »Du hättest sie retten können? Das hast du mir nicht gesagt! Du hast sie sterben lassen, wenn wir sie hätten retten können?«
    »Was denn? Gegen die Naturgesetze verstoßen? Damit sie zu einer Abscheulichkeit wird? Du hast deinen Ton ziemlich schnell geändert, Trajan. Hör dich doch einmal selbst reden!«
    Wütend sprang Trajan vor und packte seinen Bruder an der Kehle. Trajans Schwung warf Claudius rücklings auf den Tisch. Das Glasei und die dazugehörigen Rohre fielen krachend zu Boden und zerbrachen in tausend Splitter und Scherben. Trajans Finger legten sich noch fester um den Hals seines Bruders. Claudius leistete keinen Widerstand.
    »Ich könnte dich umbringen«, sagte Trajan. »Das willst du doch, nicht wahr? Du willst lieber sterben, als deine Einsamkeit erdulden. So leicht lasse ich dich nicht davonkommen. Ich werde durchhalten, um meiner Töchter willen. Und das sollst du auch. Ich kann dich nicht laufen lassen, kleiner Bruder. Du bist jetzt eine Gefahr. Ich weiß nicht, was du als Nächstes tun wirst; nun, wo ich sehe, dass du zu so vielem fähig bist. Deshalb werde ich dich mit all deinen Erinnerungen hier im Haus behalten, für immer. Century wird dein Gefängnis sein. Und meines auch.«
    Trajan stand auf und ließ Claudius los. Sie sahen einander in die Augen, von Mann zu Mann. Trajan wandte als Erster den Blick ab. Mit gesenktem Kopf verließ er den Raum.
    Claudius legte sich die eigenen Hände an den Hals, auf dem sich Trajans Finger abzeichneten. Er ging ans Fenster und schaute auf eine weiße Welt hinaus, schneebedeckte Flächen, tief hängende Wolken und das endlose Fallen der Schneeflocken. Er seufzte, drehte sich um und brach eine Kerze aus ihrem Wachsnest auf dem Bücherregal. Er zündete sie an, nahm sie mit in den zweiten Raum und ließ sie in die Truhe mit der Engelspuppe fallen. Ein paar Minuten schaute er zu, wie die Flammen verfingen. Das weiße Gesicht verbrannte schnell. Der Stoff wurde schwarz und löste sich auf, Glasaugen und Porzellanzähne wurden in der darunterliegenden Konstruktion aus Holz und Kupferdraht sichtbar. Das lange rote Haar loderte auf. Bald

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