Lucy - Der Schlüssel (Band 5) (German Edition)
Bitterer Abschied
Es war früh am Morgen, zu früh, um aufzustehen. Lucy lag wach in ihrem Bett und konnte nicht wieder einschlafen. Normalerweise kannte sie keine Schlafstörungen. Jedenfalls galt das bis vor zwei Wochen. Seitdem lag sie jeden Morgen wach im Bett, bevor das morgendliche Leben an Bord begann.
Auf dem Raumschiff gab es keinen natürlichen Tagesrhyt hmus. Sie lebten schließlich nicht auf einem Planeten, auf den eine Sonne schien und der sich im Laufe eines Tages um sich selbst drehte. Die Uhrzeit wurde deswegen nicht von physikalischen Abläufen vorgegeben. Um den Biorhythmus der Menschen an Bord nicht durcheinanderzubringen, hatte man einen künstlichen Tagesrhythmus eingeführt. Da es sich bei dem größeren Teil der Menschen an Bord um jugendliche Imperianer handelte, orientierte man die künstlichen Tageszeiten an denen von Imperia Stadt, der Hauptstadt des Imperiums.
Lucy sah traurig auf die andere Seite ihres großen Bettes. Dort lag Nuri. Das Kind schlief fest. Statt dieses Mädchens hätte eigentlich jemand anderes dort liegen sollen. Lucy stöhnte in Gedanken auf. Genau das war der Grund, warum sie seit Tagen nicht richtig schl afen konnte. Sie musste mit Srandro reden. Sie hatte es aufgeschoben bis buchstäblich auf den letzten Tag. Lucy schlich sich aus dem Bett. Sie wollte Nuri nicht wecken. Die Kleine sah wirklich niedlich aus, wie sie mit halb geöffnetem Mund und verwuselten Haaren im Bett lag und friedlich schlief. In dieser Haltung sah sie noch immer wie ein kleines, verträumtes Kind aus. Sie wirkte nicht wie die durchtrainierte, knallharte Kämpferin, zu der sie in den letzten zwei Jahren, in denen sie auf diesem Schiff lebte, ausgebildet worden war. Lucy nannte sie in ihren Gedanken immer noch »die Kleine«, obwohl selbst das nicht mehr den Tatsachen entsprach. Nuri überragte sie mittlerweile um ein paar Zentimeter. Lucy machte sich fertig und setzte sich müde und kraftlos an den Küchentisch ihrer kleinen Wohnung auf dem Schiff. Sie bewohnte allein eine kleine Einzimmerwohnung mit Küche und Bad. Es hatte eine Zeit gegeben, in der Lucy überlegt hatte, ob sie die Wohnung nicht gleich mit Srandro teilen sollte. Monatelang hatte er quasi bei ihr gewohnt. Leider war das schon eine Weile her. Jetzt übernachtete Nuri als einziger Mensch manchmal bei ihr. ›Manchmal‹ gehörte zu den kleinen Untertreibungen, mit denen Lucy sich selbst seit mehr als einem halben Jahr belog. Seit mindestens einem halben Jahr schlief Nuri regelmäßig bei ihr.
Es klopfte kurz an dem automatischen Klopfer der Tür. Ohne ein »Herein« abzuwarten, wurde sie geöffnet und Riah betrat mit ene rgischen Schritten den Raum. Bei Riah handelte es sich nicht nur um Lucys beste Freundin, sie war auch ihre Stütze in den schlimmsten Zeiten. Vor einem halben Jahr hatten die beiden jungen Frauen fast täglich über Lucys Beziehung zu Srandro geredet. Lucy hatte nicht mitgezählt, wie oft ihre Tränen während solcher Gespräche die Schulter von Riahs Oberteil durchweicht hatten. Riah besaß für alle und für alles Verständnis, sogar für den Liebeskummer einer Terranerin. Dabei handelte es sich bei Riah um eine waschechte Imperianerin, die nicht nur Liebesbeziehungen zu gleich mehreren Partnern pflegte, sondern bei deren Partnerwahl auch das Geschlecht keine Rolle spielte. Sie hielt genauso wie alle anderen Imperianer Verliebtsein für eine Krankheit und den Wunsch nach einer festen Zweierbeziehung für die schlimmste Ausprägung einer solchen.
Riah setzte sich Lucy gegenüber an den Tisch und betrachtete sie mit besorgtem Gesicht.
»Hast du mit ihm geredet?«, fragte sie Lucy ernst.
Lucy blickte auf die Tischplatte. Sie hatte nicht einmal die Kraft, ihrer Freundin in die Augen zu sehen.
»Also nicht«, stellte diese resigniert fest.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer. Nuri schlurfte heraus. Sie warf Riah einen bitterbösen Blick zu.
»Was willst du denn hier?«, murrte sie.
»Guten Morgen heißt das!«, antwortete Riah streng.
Nuri warf ihr einen vernichtenden Blick zu und schlurfte ohne ein weiteres Wort ins Bad.
»Lucy verdammt, du solltest endlich deine Angelegenheiten kl ären, statt dem Kind den Kopf mit euren komischen terranischen Ideen zu verdrehen«, sagte Riah und sah Lucy nachdrücklich an.
Riah war die Älteste aus dem Kreis von Lucys engsten Freu nden. Innerhalb ihres Freundeskreises nahm sie so etwas Ähnliches ein, wie das, was Lucy eine Mutterrolle nennen
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