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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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spüre ich seinen Atem auf meinem Gesicht und ich habe keine Angst. Fragst du dich auch, wohin die Seele reist, wenn der Körper stirbt?«
    »Ich werde dir folgen«, sagte er. »Du darfst mich nicht zurücklassen, so ganz allein.«
    »Nein«, sagte Thekla. »Nein, du musst auf die Mädchen achtgeben. Sind sie hier? Ich will sie sehen.«
    Die kleine Mercy und Charity hatten sich in das Zimmer geschlichen, Charity in Tränen, die kleine Mercy ganz verstört vor Entsetzen.
    »Ich liebe euch«, sagte sie zu den Kindern. »Ich liebe euch so sehr. Passt auf euch auf.« Sie schluckte, es machte ihr Mühe zu atmen.
    »Ich bin durstig«, flüsterte sie. »Und mir ist kalt.« Ihre Stimme wurde schwächer.
    Aurelia nahm die kleinen Mädchen mit.
    Mercy sah zu, wie ihre Mutter starb. Trajan hatte sich über sie gebeugt und streichelte Theklas Gesicht wie ein Kind. Er war so zärtlich und strich ihr das Haar von den Wangen. Er trug sie in ihr Schlafzimmer, und als er sie auf das Bett gelegt hatte, ließ er eine Schale Wasser kommen und wusch ihr das Blut von der Haut. Die Diener zogen die Vorhänge vor und schlossen alle Fensterläden, damit kein Licht ins Haus dringen konnte, ein Vorgeschmack auf die ewige Dunkelheit, die das Haus künftig erdulden musste. Theklas Zofe saß schluchzend im Zimmer ihrer Herrin. Aber Trajan wollte niemandem erlauben, Thekla zu berühren, er umsorgte sie, zog ihr die Schuhe von den Füßen, bürstete ihr Haar. Die kleine Mercy und Charity saßen aneinander gekauert im Kinderzimmer und konnten die Bedeutung der Ereignisse dieses Tages noch nicht erfassen.
    Im Schlafzimmer wartete Mercy geduldig darauf, einen letzten Blick auf ihre Mutter werfen zu dürfen. Sie wollte die Hand nach Trajan ausstrecken und ihn trösten. Er wirkte so klein und einsam.
    Sie sah zu, wie er Theklas Kleid glatt zog und Kerzen an ihrem Bett anzündete. Schließlich gab er Theklas Zofe schroff einen Befehl und verließ das Zimmer. Die Zofe räumte fertig auf. Sie sah ihre Herrin zum letzten Mal lange an und dann ging auch sie aus dem Zimmer. Mercy war allein mit ihrer Mutter.
    Sie hatte kaum Erinnerungen an Thekla. Wenn die kleine Mercy zehn gewesen war, als Thekla starb, müsste sie dann nicht einen Schatz an Kindheitserinnerungen gesammelt haben? Geschichten und Liebkosungen, Spaziergänge und Mahlzeiten, Ausflüge und Lachen? Das hatte es alles gegeben, ganz bestimmt. Doch als Trajan die Ereignisse der Vergangenheit weggeschlossen hatte, hatte er ihr auch das wertvollste Erbe ihrer Mutter genommen. Mercy sah sich das Gesicht ihrer Mutter genau an, es kam ihr vor, als müsste ihr das Herz brechen. Das war nicht gerecht. Sie brauchte ihre Mutter so sehr. Sie wollte, dass sie lebte.
    Am Anfang hatte Claudius ihr versprochen, dass sie ihre Mutter sehen würde, und dieses Versprechen hatte er gehalten. Aber Thekla hatte nur ein sich ständig wiederholendes Phantomleben in Trajans Sphären der Vergangenheit. Er hatte ihre Seele in seinen Zeitteppich eingearbeitet. Claudius hatte Mercy die Gelegenheit gegeben, ihre Mutter wiederzusehen, und sicherlich hatte Trajan auch etwas in dieser Art im Sinn gehabt, als er den Zauber konstruiert hatte, der das Haus vor der Welt versteckte. Er versuchte, Theklas Leben festzuhalten, und sei es nur in dieser sich endlos wiederholenden und unveränderlichen Form. Wenn das der Fall war, dann war Trajan nicht so viel besser als Claudius.
    Wo war Trajan jetzt?
    Mercy war beunruhigt. Sie nahm das rote Buch und verließ das Schlafzimmer ihrer Mutter. Sie musste ihren Vater finden.
    Unten waren die Dienstboten damit beschäftigt, das Haus aufzuräumen. Die Stimmung war gedrückt. Trajan war weder in der Bibliothek noch in den Gewächshäusern, seinen üblichen Aufenthaltsorten. Es war möglich, dass er einen Spaziergang oder einen Ausritt machte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Mercy zögerte, sie wusste nicht, was sie als Nächstes versuchen sollte, war aber überzeugt davon, dass gleich etwas Wichtiges geschehen würde. Sie spürte, das dieses Kapitel nicht enden würde, ehe … ehe was?
    Das verschlossene Labor. Die Engelspuppe, der Stapel uralter Bücher. Mercy hob ihre zerrissenen Röcke und lief los.
    Die beiden Männer standen im ersten der aneinandergrenzenden Räume und stritten sich. Trajans kindlicher Kummer war in rasende Wut umgeschlagen. Natürlich gab er Claudius die Schuld an Theklas Tod. Er wollte genau wissen, warum Marietta im Teich ertrunken war. Claudius hatte die Wut hinter sich

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