Das Haus der Madame Rose
Maman Odette kennenlernte, wusste ich nicht, was das Wort »Familie« bedeutete. Bis das quadratische Haus mit der grünen Tür an der Ecke der Rue Childebert mein Haus wurde. Mein Himmelreich.
Rue Childebert, den 12. Juni 1828
Meine treue Liebe, Rose meines Herzens,
heute Morgen ging ich hinunter zum Fluss, ich setzte mich eine Weile an die Böschung und genoss die Morgensonne. Ich sah zu, wie die Kähne vorbeizogen und die Wolken über den Himmel jagten, und fühlte mich als glücklicher Mann. Ein glücklicher Mann, weil er von Dir geliebt wurde. Ich glaube nicht, dass meine Eltern sich überhaupt liebten. Meine Mutter hatte sich mit meinem Vater auf ihre mutige, selbstlose Art arrangiert, so gut es ging. Das merkte keiner, weil sie sich nur selten beklagte.
Wenn ich an nächste Woche denke, an diesen heiligen Moment, wenn Du die Meine wirst, überkommt mich Freude. Ich kann gar nicht richtig glauben, dass Du, die schöne Rose Cadoux, meine rechtmäßig angetraute Gattin werden wirst. Ich war oft in der Kirche von Saint-Germain. Ich wurde dort getauft, ich ging dort zur Messe, zu Hochzeiten, Taufen, Trauerfeiern. Ich kenne diese Kirche in- und auswendig, ich kenne sie wie mich selbst. Doch in wenigen Tagen werde ich nun mit Dir aus dieser Kirche treten, als wäre es das erste Mal, an diesem herrlichen, segensreichen Tag, wenn ich Dein Gatte werde, mit Dir, meiner Frau, am Arm. Ich werde Dich zu unserem Haus in der Rue Childebert führen, wo ich geboren wurde, ich werde durch diese grüne Tür und die Treppen hinauf in unser Schlafzimmer eilen und Dir beweisen, wie sehr ich Dich vergöttere.
Ich habe mein ganzes Leben lang auf Dich gewartet, Rose. Nicht nur wegen Deiner atemberaubenden Schönheit, Deiner Würde, nein, vor allem wegen Deiner Selbstlosigkeit, Deiner Herzlichkeit. Und wegen Deines Humors. Ich bin betört von Deinem Wesen, Deinem Lachen, Deiner Liebe für schöne Kleider, Deinem Gang, dem goldenen Glanz Deines Haars, dem Duft Deiner Haut. Ja, ich empfinde tiefe Liebe. So habe ich noch nie geliebt. Ich war bereit für eine pflichtbewusste Gattin, die sich um mich und den Haushalt kümmert. Doch Du bist so viel mehr als eine normale Frau, denn Du bist alles andere als normal.
Das Haus in der Rue Childebert wird unser Familiensitz sein, meine süße Rose. Ich werde der Vater Deiner Kinder sein. Unsere Kinder werden in diesem Viertel aufwachsen, so wie ich und Du hier aufgewachsen sind. Ich möchte mit Dir zusammen erleben, wie sie selbständig werden. Ich wünsche mir, dass die Jahre an Deiner Seite in diesen vier Wänden friedvoll vergehen. Ich schreibe Dir gerade aus dem Salon, der bald Dein Salon sein wird. Auch das Haus wird Dein sein. Alles hier drin wird Dein sein. Es wird ein Haushalt der Liebe sein.
Du bist zutiefst geliebt, Rose. Du bist noch jung, strahlst aber schon eine große Reife aus. Du kannst gut zuhören, Du bist fürsorglich. Oh, Deine Augen und deren stille Schönheit, deren stille Kraft.
Diese Augen, dieses Lächeln, dieses Haar will ich nie mehr verlieren. Bald wirst Du mein sein, wirst meinen Namen tragen und mein Fleisch sein. Ich zähle die Tage. Meine glühende Liebe für Dich brennt in mir mit hellem Licht.
Für immer Dein
Armand
Beim Gedanken an den Salon kann ich bestimmte Bilder nicht aus dem Gedächtnis bannen. Es gibt natürlich glückliche Bilder. Wie ich als Deine Braut die Treppe heraufkomme, der Spitzenschleier weich auf meinem Gesicht und Hals, Deine Hand warm an meinem Kreuz. Das Gemurmel der Gäste. Doch ich hatte nur Augen für Dich, mein Gatte. Im kühlen Halbdunkel der Kirche hatte ich mein Gelübde geflüstert, ich war sogar zu schüchtern, um den Blick zu Deinem Gesicht zu heben. Die Leute hinter uns machten mich verlegen, meine Mutter und ihre extravaganten Freunde, ihr grelles Kleid, ihr verwegener Hut.
Ich sehe mich selbst als das junge Mädchen in Weiß, das, noch immer mit dem kleinen Strauß heller Rosen in der Hand und einem neuen Goldring, der ihm fest am Finger sitzt, vor dem Kamin steht. Eine verheiratete Frau. Madame Armand Bazelet. Mindestens fünfzig Leute hatten in diesem Raum Platz. Es gab Champagner und Häppchen. Doch es war, als wären wir beide allein. Von Zeit zu Zeit trafen sich unsere Blicke, und ich fühlte mich geborgen, geborgener denn je in meinem ganzen Leben, geborgen in Deiner Liebe, in Deinem Haus. Das Haus mochte ich von Anfang an, genauso wie Deine Mutter. Das Haus umarmte mich wie Deine Mutter. Es umfing mich. Ich
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