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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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Augenblick, mich überleben, bis mit dem Umschlagen einer Seite, dem Ende eines Kapitels und dem Zuklappen des Buches auch sie ihren Tod fänden, geborgen in ledernem Einband und Tintenklecksen.

12. März 1896, Neve Shalom
    Salach ist verschwunden und nirgends zu finden.
    Sein Zimmer war verschlossen die ganze Nacht, nachdem er dort unter seiner Decke eingeschlafen und seine Mutter ihn auf die Stirn geküsst, und erst am Morgen, als er die Rufe der Dienerin Amina nicht erwidert, die zu einem Frühstück ihn wollt bewegen, kamen aus Hysterie und Ohnmacht sie zu mir, mich um Rat zu fragen. Ich stellte neben die Tür mich, klopfte kräftig dagegen und rief seinen Namen. Der Junge antwortete nicht.
    «Ich werde das Schloss aufbrechen und die Tür eintreten», ließ ich ihn wissen.
    Der Junge schwieg eisern.
    Also befahl ich den Kolonisten, eine Eisenstange zu bringen, mit deren Hilfe das Schloss wir barsten und aufbrachen, worauf die Tür mit einem Seufzer sich auftat.
    Wir betraten den Raum, Menachem-Mendel, Asher-Jehoshua, Shimon-Jedel und ich. Das Zimmer des Jungen lag schweigend und bleich, sein Bett ungemacht, das Fenster geöffnet und die Vorhänge wogend.
    Ich wies sie an, unter das Bett zu schauen, hinter die Kommode und zwischen die Bücherschränke, doch der Junge hielt sich nirgends versteckt. Es schien, als sei aus dem Fenster er gesprungen, zu den Ästen des Johannisbrotbaumes, und von dort nach unten bis zum Boden geklettert. Nichts weiter also als abermals ein Streich dieser infantilen Seele.
    Ich befahl den Kolonisten, in jedem Winkel und jeder Ecke des Hauses nach ihm zu suchen, doch sie fanden nichts, obschon sie sogar in den uralten, an ein Labyrinth gemahnenden geheimen Gängen des Gutshauses stocherten, von denen einer gar, wie sie mich wissen ließen, bis zum Schlafgemach der Araberin führte, was einem jeden, der in diesem Gang hockte, Gelegenheit gäbe, nach Bett und Decken zu spähen.
    Menachem-Mendel lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Aussteuerkiste der Araberin, die offen stand und durchwühlt schien. Wir brachten die Mutter her, die den ganzen Morgen in einem Zustande größter Verzweiflung sich befand ob des Verschwindens ihres Sohnes. Sie prüfte und fand, dass ihr Brautkleid fehlte.
    Ich erteilte den Kolonisten Order, das Anwesen abzuschreiten und nach dem Jungen zu suchen. Sie fanden nichts. Allein das Fahrrad des Jungen fehlte und hatte offensichtlich eine Spur hinterlassen, welche aus dem Gut herausführte.
    Salach, so schien es, war ausgebüxt. Sei’s drum.
    Ich sagte den Kolonisten, «Kehrt an eure Arbeit zurück. So wie der Junge weggelaufen ist, wird in einer Stunde oder deren zweie, spätestens jedoch in einem Tag er wieder da sein.»

Wenige Stunden später, Neve Shalom
    Indem ich über die Märkte der Araber ging, Ausschau zu halten, ob der Junge dort nicht zwischen den Ständen sich versteckte, hörte ich Krethi und Plethi untereinander auf Arabisch über irgendeine Neuigkeit reden, deren Natur ich jedoch nicht begriff. Ohne böse Absicht wandte aufs Geratewohl ich mich zur Gasse der Geldwechsler, wo den Jungen ich zum allerersten Male getroffen, unweit des Büros der beiden Stenze, und Gedanken und Erinnerungen an unsere erste Begegnung überkamen mich, wie er in der Tür gestanden und mit seinem Blick mich durchbohrt und ich irrigerweise gedacht, er sei schwachsinnig, obgleich er dies vielleicht wirklich ist, denn seinem Verstand und seiner Klugheit zum Trotze ist seine Seele gestört von Grunde auf, von ihren Wurzeln. Noch stand derart in Gedanken versunken ich da, als eine verschleierte Araberin dort begann, sich die Haare vom Kopfe zu reißen und laut auf Arabisch zu klagen und zu jammern.
    Sie heulte und wimmerte und wurde alsbald begleitet von drei weiteren, armselig ausschauenden Klageweibern, die mit Blechbüchsen rasselten, um Almosen zu sammeln, und bei ihrem Geschrei kamen auch unsere Brüder, die jüdischen Geldwechsler, die emsig damit beschäftigt, ausländische Valuta zu wiegen und diese in
Bishliks
und Franken zu tauschen, aus ihren Läden. Dem Lärm und Tumult nach schien dies eine Trauerprozession zusein, und tatsächlich erschienen gleich darauf vier Trunkenbolde, abgerissene Vagabunden, die zwei Leichname trugen, und Grauen und Trauer überkamen mit einem Mal mich, da ich gewahrte, dass diese beiden Salim und Salam sein mussten. Ihr Begräbniszug war dies, und ich hastete zu einem der Geldwechsler, der an einer Pistazienschale lutschte, und entrang

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