Das Haus der verlorenen Herzen
transplantiert?!
Volkmar ging zurück und stieß die Tür zum Chefzimmer auf. Fast gleichzeitig sprangen Dr. Soriano und Loretta von der Couch. Mit einem Aufschrei rannte ihm Loretta entgegen und fiel in seine Arme.
»Mein Liebling!« rief sie. »Mein armer, armer Liebling! Oh, was haben sie jetzt mit dir getan?!« Dann weinte sie, hing an seinem Hals, er mußte sie zum Sofa zurücktragen und hinlegen. Er setzte sich, bettete ihren Kopf in seinen Schoß und streichelte unentwegt ihr zuckendes Gesicht.
Dr. Soriano starrte ihn aus rotumränderten Augen an. »Ich danke dir, Enrico«, sagte er leise. »Du kannst von mir haben, was du willst. Das vergesse ich dir nie. Du hast meinen Engel gerettet. Dafür kann ich dir nicht mehr danken, weil jeder Dank zu gering wäre …«
»Und wie geht es weiter?« fragte Volkmar tonlos. Er küßte Lorettas tränennasse Augen und wehrte sich nicht, als sie seine Hand ergriff und in seinen Zeigefinger biß, als sei er ein Stück Holz.
»Wenn du willst, fahren wir sofort nach Solunto zurück. Der Cadillac steht draußen. Ich habe schon mit Worthlow telefonieren können. Er war in großer Sorge. Aber jetzt bereitet er ein Festmahl vor.«
»Wie lange ist Loretta schon hier?«
»Seit über einer Stunde. Sie war noch ziemlich wackelig auf den Beinen, als Don Giacomo sie mir brachte. Aber sie hat sich schnell erholt. Und dann hat sie gebetet, daß du viel, viel Kraft haben mögest, um das durchzustehen. Und du hast die Kraft gehabt!«
»Irrtum! Ich bin völlig ausgebrannt.« Volkmar legte den Kopf weit zurück und starrte gegen die mit Nußbaumholz getäfelte Decke. »Ich weiß nicht, wie ich das überlebe …«
»Du wirst dich daran gewöhnen …«
»Gewöhnen? Jedesmal das Herz eines Ermordeten zu verpflanzen? Daran soll ich mich gewöhnen?!«
»Ich liebe dich!« sagte Loretta und schlang die Arme um ihn. »Ich liebe dich.«
»Liebe?! Du müßtest vor Ekel aufschreien, wenn ich dich anfasse!«
»Du hast es für mich getan.« Sie preßte ihr Gesicht gegen seine Brust. »Jetzt lebe ich wirklich nur durch dich. Oder ich sterbe durch dich. Alles liegt in deiner Hand.«
»Das ist ja das Hundsgemeine!« sagte Volkmar rauh. »Wer leben will, muß töten!«
»Die Rückkehr zur Urform! Das Leben des Menschen ist ständiger Krieg. Je mehr Opfer am Wege, um so erfolgreicher!« Dr. Soriano ging zur Tür. Er war wieder der große Anwalt von Palermo, der Don Eugenio, dem man Sizilien wie ein Lehen gegeben hatte. Die vergangene Nacht konnte gestrichen werden, sie war Episode geworden. Nur die borkige Blutkruste auf der Stirn erinnerte an Stunden, in denen auch ein Dr. Soriano nur ein Häuflein Angst gewesen war. »Können wir fahren? Worthlow hat frischen Lachs in der Folie gebacken, wie er am Telefon sagte.«
»Sie können jetzt essen?« Volkmar drückte Loretta an sich, als sei sie ein kleines, weinendes Kind. »Jetzt?!«
»Ich habe einen barbarischen, kannibalischen Hunger! Und auch du mußt etwas essen! Kommt, Kinder, ihr solltet euch, ohne viel nachzudenken, eurer neuen herrlichen Freiheit erfreuen! Enrico: Unser Haus am Meer, deine Yacht, der Park mit den Wasserspielen …«
»Den Krokodilen, den Löwen …«
»Ich werde sie abschaffen!« Soriano stieß die Tür auf. Er trat einen Schritt hinaus in den Flur und kam wieder zurück ins Zimmer. »Enrico –«, sagte er leise. »Ich werde nicht vergessen, was sie mit uns heute nacht angestellt haben. Es gibt einige Namen, die man nur noch ausbrennen kann! Ich habe noch einiges zu tun, bevor ich abtrete.«
»Sie hungern nach Rache, nicht wahr?« Volkmar stand auf und zog Loretta mit sich vom Sofa hoch. »Ich kann Ihren Gedankengängen nicht mehr folgen. Die Mafia hat nach wie vor Loretta und mich als Pfand!«
»Das wird sich erweisen.« Dr. Soriano winkte einladend in den Flur. »Gehen wir, meine Lieben. Ein zweites Mal legt man mich nicht herein.«
Später saß Dr. Volkmar am Swimming-pool seines Dachgartens und starrte in das vom Wind leicht gekräuselte Wasser. Worthlow hatte den Tisch abgeräumt, Soriano telefonierte mit Freunden, Loretta saß im Schlafzimmer vor dem Spiegel und fönte sich ihre Haare. Wenn Volkmar den Hals etwas reckte, konnte er über die Brüstung hinweg aufs Meer blicken. An dem neuen hölzernen Landesteg schaukelte die weiße Motoryacht. Fähnchengirlanden flatterten im Wind.
Das neue Leben. Der Dr. Heinz Volkmar, Dozent in München, war endgültig gestorben. Seit diesem Morgen gab es keine Rückkehr
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