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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Motor …
    »Winken Sie, Zampieri«, sagte Volkmar. Seine Stimme zerbrach.
    Jetzt! Mein Gott … jetzt! Verzeih mir, Herr im Himmel! Konnte ich etwas anderes tun? Ich werde daran zerbrechen, aber Loretta wird weiterleben. Und auch Zampieris Frau und sein kleiner Sohn Franco. Mein Gott, nicht ich habe die Menschen gemacht, sondern du! Und du hast ihnen den Geist gegeben, damit sie sich über das Tier erheben und diese Welt beherrschen zu deiner Freude. Und was ist daraus geworden? Auch du, Herr im Himmel, bist ein Opfer der Menschen geworden. Deine eigene Schöpfung zerstört dich.
    Er stützte sich auf den OP-Tisch und wartete. Hinter sich hörte er Dr. Zampieri schnaufen.
    Er hat gewinkt, dachte Volkmar. Drüben schneiden sie jetzt den Brustkorb auf. Klemmen die Venen und Arterien ab. Trennen mit schnellen Scherenschlägen das Herz von den Gefäßen. Legen es auf die Glasschale und rennen damit hinüber zu mir.
    Der Bäckergeselle Pietro Foco ist getötet.
    Ich kann es nicht, schrie es in Volkmar. Ich kann es nicht! Meine Finger sind wie gelähmt! Ich kann dieses Herz nicht anfassen, ich kann es nicht transplantieren. Meine Finger sind vereist, leblos, unbeweglich. Ich schreie auf, wenn ich das junge, kräftige Herz aus der Glasschale heben muß. Mein Gott, laß mich verrückt werden … das ist eine Entschuldigung …
    Eine Hand im Gummihandschuh tastete zu Volkmar hinüber und stieß ihn leicht an. Der 1. Assistent. Eine stumme Bitte: Weitermachen, Chef!
    Dr. Volkmar nickte. Er spreizte die Finger. Vom Instrumententisch her drückte der Pfleger ihm die erste Schere in die Hand.
    Die Exzision des alten Herzens hatte begonnen.
    Von da an arbeitete Volkmar wie in Hypnose. Seine Finger schnitten und nähten, transplantierten und explantierten: zehn mechanische Greifer, die jeden Handgriff ausführten, als sei er vorprogrammiert, und nun laufe das Lochband ab.
    Das neue Herz wurde herangereicht, eingesetzt, mit den Teflonverbindungen im großen Gefäßsystem aufgehängt und vernäht. Im Hintergrund klang das Schmatzen der Herz-Lungen-Maschine, die das Blut pumpte, reinigte, mit Sauerstoff anreicherte und mit Spenderblut weitgehend austauschte.
    »Sie ist schon weg«, sagte Dr. Zampieri leise Dr. Volkmar ins Ohr. Und als er nicht reagierte, fügte er hinzu: »Loretta ist sofort hinausgerollt worden, als ich das Zeichen gab …«
    »Halten Sie die Schnauze!« knirschte Volkmar. »Oder ich schlage aus!«
    Handgriff nach Handgriff … hundertmal geübt, vierzehnmal erfolgreich …
    Die Kontrolle der Nähte. Die Rückführung in den normalen Kreislauf. Der Stromstoß aus dem Defibrillator. Die ersten Zuckungen des neuen Herzens. Die Meldung vom Oszillographen: »Herz arbeitet. Kurve stabilisiert sich!« Das ungeheure Erlebnis: ein fremdes Herz hat das Leben übernommen. Der Blick in die Augen der Kollegen. Ihr Wimpernzucken. Gratuliere, Chef … Die Stimme von der Anästhesie: »Puls stabil. Atmung noch flach, erholt sich aber …« Und dann die große Müdigkeit, das Blei in allen Gelenken, die Sehnsucht, sich einfach hinfallen zu lassen und zu schlafen. Und das grauenhafte Bewußtsein: Es ist ein Mensch getötet worden, damit man sein Herz für zwei Millionen Dollar einem anderen Menschen einsetzen kann, und du, Dr. Heinz Volkmar, hast es getan!
    Volkmar trat vom OP-Tisch zurück und überließ es dem Team, die Restarbeit, die reine Routine der Schließung des Brustkorbes, zu vollenden. Er streifte die Handschuhe ab, riß den Mundschutz herunter und warf beides auf den Kachelboden. Erst dann wagte er wieder hinüberzublicken in den OP II. Der kleine Saal war leer. Kein Arzt mehr, kein Körper. Ein Pfleger spritzte die letzten Spuren mit einem starken Wasserstrahl in den Bodengully.
    Volkmar verließ den OP. Im Vorraum stand kein Don Giacomo, niemand hielt ihn mehr auf. Auf dem Flur keine wortkargen Männer mit Maschinenpistolen, keine Augen, die jede Bewegung von ihm verfolgten … Er ging den langen Gang hinunter bis zum Lift, fuhr in den Keller Nr. 1 und war auch hier allein. Vor der Tür zum Chefzimmer keine Wache mehr, niemand, der ihn gehindert hätte, mit dem anderen Lift hinaufzufahren in die Halle des Kinderheimes und damit in die Freiheit.
    Er startete einen Versuch, ging zu dem Lift und wartete darauf, daß von irgendwoher ein Anruf erfolgte. Aber nichts rührte sich. Die Welt lag offen vor ihm. Warum sollte man den Chefchirurgen der Mafia auch behindern, den Mann, der die Herzen ermordeter junger Burschen

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