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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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weiß es nicht, Bazil.
    Durch den Wald? Hast du Blätter gefühlt?
    Ich weiß es nicht.
    Was ist mit dem Boden? Steine? Gestrüpp? War da ein Stacheldrahtzaun?
    Meine Mutter schrie mit heiserer Stimme, bis ihre Lunge leer war und Schweigen herrschte.
    Da treffen sich drei Arten Land, sagte mein Vater. Seine Stimme war dünn vor Angst. Stammesland, staatliches Land und Privateigentum. Deshalb frage ich.
    Komm endlich aus dem Gerichtssaal raus, verdammt noch mal, sagte meine Mutter. Ich weiß es nicht.
    Schon gut, sagte mein Vater. Schon gut. Erzähl weiter.
    Nach dem. Danach. Da hat er mich zum Rundhaus geschleift. Es dauerte, bis wir da waren. Hat er mich im Kreis rumgeführt? Mir war schlecht. Ich weiß es nicht mehr. Im Rundhaus hat er meine Hände losgemacht und den Sack abgezogen, und es war … es war ein Kissenbezug, ein einfarbiger, pink. Dann sah ich sie. Ein Mädchen noch. Und ihr Baby spielte auf dem staubigen Boden. Die Kleine streckte ihre Hände in das Licht, das durch die Risse in den Holzbohlen fiel. Sie hatte gerade erst krabbeln gelernt, die Arme knickten ihr weg, aber sie schaffte es bis zu ihrer Mutter. Sie war Indianerin, war ein indianisches Mädchen, und sie war es, die mich angerufen hat. Am Freitag war sie bei mir gewesen, um die Papiere einzureichen. Ein ruhiges Mädchen mit einem so netten Lächeln, hübschen Zähnen, rosa Lippenstift. Ihre Frisur war so schön. Sie hatte ein Strickkleid an, hellviolett. Weiße Schuhe. Und das Baby hatte sie dabei. Mit diesem Baby hatte ich in meinem Büro gespielt. Sie war es also, die mich an dem Tag angerufen hat. Sie. Mayla Wolfskin.
    Ich brauche die Akte , hat sie gesagt. Mein Leben hängt davon ab , hat sie gesagt.
    Sie lag am Boden. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit Klebeband gefesselt. Das Baby krabbelte im Sand herum. Die Kleine hatte ein gerüschtes gelbes Kleid an, und ihre Augen – so zärtlich. Wie Maylas Augen. Große braune Augen. Ganz weit offen. Sie hat alles gesehen, und sie war verwirrt, hat aber nicht geweint, weil ihre Mutter ja da war und sie dachte, es sei alles in Ordnung. Aber er hatte Mayla gefesselt. Geknebelt. Mayla und ich sahen uns an. Sie blinzelte nicht einmal, sondern bewegte nur die Augen zu dem Baby und zu mir und wieder zu dem Baby. Ich wusste, dass sie wollte, dass ich auf das Baby aufpasse. Ich nickte ihr zu. Dann kam er rein und zog die Hose aus, ließ einfach die Hose runter. Es war eine Stoffhose. Jedes Wort ist beimir hängen geblieben, jedes einzelne Wort, das er gesagt hat. Wie er es gesagt hat: mit kalter Stimme, dann fröhlich, dann wieder kalt. Dann amüsiert. Er hat gesagt: Was bin ich doch für ein krankes Arschloch. Schätze, ich bin einer von denen, die Indianer sowieso schon hassen, aber besonders, weil sie sich mal mit meiner Familie angelegt haben, und besonders finde ich, dass ihre Frauen … Wie er uns genannt hat, will ich nicht sagen. Er hat Mayla angeschrien und gesagt, er liebe sie, und sie hätte trotzdem einen anderen. Das habe sie ihm angetan. Aber er wolle sie immer noch. Er brauche sie. Sie habe ihn in diese unangenehme Lage gebracht, sie zu lieben, sagte er. Man sollte dich in einer Kiste im See versenken für das, was du mit meinen Gefühlen angerichtet hast! Er sagte, wir hätten aus gutem Grund weniger Rechte, und trotzdem schwächten wir den weißen Mann und nähmen ihm seine Ehre. Ich hätte reich werden können, aber ich wollte euch lieber zeigen, allen beiden, was ihr wirklich seid. Mich kriegen sie nicht, sagte er. Ich hab sämtliche Paragraphen geritten. Lustig. Lach doch. Er stieß mich mit dem Fuß an. Ich kenn sie so gut wie jeder Richter. Kennst du nicht zufällig einen? Ich hab keine Angst. Alles ist falschrum geregelt, sagte er. Aber hier und heute regle ich alles so rum, wie ich es will. Die Starken sollen über die Schwachen herrschen. Nicht umgekehrt! Die Schwachen ziehen die Starken runter. Aber mich kriegen sie nie.
    Ich schätze, ich hätte dich mit dem Auto versenken sollen, sagte er plötzlich zu Mayla. Aber stell dir vor, Schätzchen, das konnte ich nicht. Du hast mir so leidgetan; es hat mir das Herz mitten durchgebrochen. Das ist wahre Liebe, nicht? Wahre Liebe. Ich konnte es nicht. Aber ich muss es tun, verstehst du. All deine Sachen waren in dem Scheißauto. Wo du hingehst, brauchst du gar nichts mehr. Tut mir leid! Tut mir leid! Er schlug Mayla, schlug mich, schlug wieder sie, und noch mal, und noch mal, und dann drehte er sie auf den Rücken. Willst du

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