Das Haus in den Dünen
hörte.
Langsam tastete sich Tina voran. Stück um Stück gelangte sie im Schatten des Rohres vorwärts. Lautlos. Plötzlich erblickte sie die Frau, die ihr den Rücken zukehrte. Tina hob die Waffe und zielte. Langsam und vorsichtig erarbeitete sie sich ein freies Schussfeld. Zentimeter um Zentimeter schlich sie vorwärts, bis sie sah, dass Trevisan etwa drei Meter entfernt vor Veronika Oberdorf stand und seine Waffe auf die Frau gerichtet hielt. Auch die Frau hatte ihre Waffe im Anschlag und hielt sie fest auf Trevisans Brust gerichtet. Tina überlegte, was sie tun konnte. Einfach zu schießen war wohl die schlechteste Idee, denn sie konnte nicht ausschließen, dass die Frau abdrückte, bevor sie zu Boden ging. Tina glitt zu Boden und robbte langsam auf den Platten voran. Stück um Stück verbesserte sie ihren Winkel.
Trevisan forderte die Frau noch einmal eindringlich auf, die Waffe wegzulegen. Tina robbte weiter. Sie war sicher, dass Trevisan sie längst wahrgenommen hatte, doch er ließ sich nichts anmerken. Schließlich nahm Tina die Waffe hoch und zielte auf Veronika Oberdorfs Waffenhand. Die Distanz betrug knapp sieben Meter.
Tina konnte mit der Dienstpistole mehr als nur durchschnittlich umgehen, ihre Schießergebnisse waren vorzüglich. Einen Augenblick dachte sie daran, die Frau anzurufen, sie abzulenken, doch sie wusste nicht, wie Veronika Oberdorf reagieren würde. Die Gefahr für Trevisan war einfach zu groß. Schließlich traf sie ihre Entscheidung.
Der Knall zerriss die Stille und Veronika Oberdorf wirbelte herum. Ein zweiter Schuss peitschte auf. Veronika Oberdorf krümmte sich, dann sackte sie zusammen. Tina sprang auf, doch Trevisan war schneller. Mit einem Sprung war er bei Veronika und kickte ihr die Waffe aus der Hand.
Tina hatte getroffen. Zuerst in den rechten Unterarm und dann in das rechte Bein. Veronika Oberdorf stöhnte. »Ich … ich wollte schon … immer … wissen, wie es sich anfühlt.«
Trevisan legte Tina die Hand auf die Schulter. »Danke«, sagte er. »Ich hab mir beinahe in die Hosen gemacht.«
Epilog
Fünf Monate nach der Verhaftung von Veronika Oberdorf wurde die Verhandlung vor dem Landgericht angesetzt. Vierfacher Mord und Mordversuch sowie Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Tötung wurden ihr vorgeworfen. Vierzehn Verhandlungstage waren angesetzt. Veronika Oberdorf gestand. Sie erzählte, dass sie bereits am Tag der Vergewaltigung auf Spiekeroog ihrer Schwester in die Hand versprochen hatte, Rache für Lucias grausames Schicksal zu nehmen. Sie hatte ihre Lebensplanung auf dieses Ziel ausgerichtet, dass sie nie aus den Augen verlor.
Die Geschichte ihres Lebens und das Leben ihrer Schwester hatte sie in einem ledergebundenen Tagebuch niedergeschrieben.
Ihr werdet alle sterben und eure Seelen werden in der Hölle schmoren!
So endete das Tagebuch, das sie versteckt gehalten und erst wieder hervorgeholt hatte, als ihre Mutter gestorben war. Erst dann konnte sie handeln, denn niemand sollte erfahren, was damals auf Spiekeroog, im Mai 1981, in dem Haus in den Dünen geschehen war, vor allem ihre Mutter nicht. So hatte sie es Lucia versprochen.
Und in der Zeit des Wartens hatte sie wertvolle Vorarbeit geleistet. Es hatte großer Anstrengung bedurft, aber sie hatte alles über ihre Peiniger herausgefunden. Als es so weit war, hatte sie erbarmungslos zugeschlagen. Vor Gericht erzählte sie ihre Geschichte mit einer Kälte, die selbst die Richter frösteln ließ.
Und eben diese Kälte war es, die trotz ihres Geständnisses dazu führte, dass sie von dem Schwurgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die Richter bejahten die Schwere der Schuld und ordneten eine anschließende Sicherheitsverwahrung an.
Holger Bergens Urteil lautete ein Jahr und sieben Monate wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und Unterlassener Hilfeleistung. Ihm kam sein zum Tatzeitpunkt jugendliches Alter zugute. Er erzählte in allen Einzelheiten, was am 13. Mai 1981 in der einsamen Hütte in den Dünen von Spiekeroog vorgefallen war. Tränen flossen über seine Wangen, als er endete.
Holger Bergen nahm sein Urteil an und erklärte durch den Anwalt noch im Gerichtssaal den Verzicht auf Rechtsmittel.
Trevisan hatte nach der Festnahme von Veronika Oberdorf einige Tage frei genommen. Angela, Paula und er fuhren nach München. Stolz präsentierte Angela ihre angemietete Wohnung in der Nähe des Englischen Gartens.
An einem schönen Nachmittag in einem der
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