Seelenband
Prolog
Laute Musik schallte aus den großen Boxen, Menschen lachten, tanzten, genossen die Party. Und Valerie hätte sich am liebsten Augen und Ohren zugehalten, um der ausgelassenen Freude um sie herum zu entkommen. Der Freude, die in so einem Gegensatz zu der Leere stand, die in ihrem Inneren herrschte.
Josh, wieso hast du das getan?
Der Bass der Musik dröhnte in Valeries Brust und sie hatte plötzlich das Gefühl zu ersticken. Da, die Balkontür. Fluchtartig verließ sie die dunkle Ecke, in die sie sich zurückgezogen hatte, und stürmte auf den Balkon.
Eisige Luft schlug ihr entgegen. Doch das war ihr egal. Zumindest konnte sie nun wieder atmen. Und sie war endlich allein.
Allein.
Das Wort hallte in ihr nach und sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Josh, du Mistkerl!
Energisch wischte sie sich die Träne fort, die über ihre Wange kullerte. Nein, ihm würde sie keine Träne mehr nachweinen. Weder vor Wut, noch vor Enttäuschung und schon gar nicht vor Schmerz!
"Mistkerl, Mistkerl, Mistkerl!" flüsterte Valerie leise vor sich hin, um den Tränen, die nun zu fließen drohten, Einhalt zu gebieten.
Sie blickte auf ihre Uhr: 23:02. Eine knappe Stunde musste sie wohl noch auf dieser Party aushalten. Dann würde das Jahr vorüber sein. Das Jahr, das so schön begonnen hatte und nun so mies zu Ende ging.
Ein lachendes Pärchen stürmte auf den Balkon und Valerie zog sich in die hinterste Ecke zurück. Auf einmal war ihr kalt und sie umfasste fröstelnd ihre Oberarme.
Warum nur war sie hergekommen?
Ach ja. Linda, ihre Freundin, hatte gemeint, die Party würde Valerie gut tun. Aber was wusste Linda schon darüber, wie sie sich fühlte? Linda, die den Abend tanzend und glücklich mit ihrem Verlobten verbrachte.
Valerie blickte in den Himmel empor. In weniger als einer Stunde würde er von knallendem Feuerwerk erfüllt und sie von sich küssenden Menschen umringt sein. Das würde sie nicht ertragen können.
Mistkerl! dachte sie wieder.
Sie sah sich erneut um. Sie wollte nicht hier sein. Wollte um Mitternacht nicht den Mitleidskuss von Lindas Bald-Ehemann empfangen. Sie wollte lieber allein sein, als von mitleidigen Blicken durchbohrt.
Nach einem letzten Blick in den sternenklaren Himmel wandte Valerie sich brüsk ab. So romantisch es sein mochte, zu zweit die Sterne zu betrachten, so niederschmetternd war es, dies allein zu tun. Sie fühlte sich plötzlich so klein und unbedeutend, so schutzlos und ausgeliefert ... und so furchtbar, furchtbar allein.
Nein, sie würde nicht weinen. Nicht wegen Josh. Nicht wegen eines anderen Mannes. Niemals wieder.
Aus dem Augenwinkel sah Valerie etwas Leuchtendes quer über den Himmel fliegen. Sie wandte den Kopf, doch da war es bereits verschwunden. Vermutlich eine verfrühte Feuerwerksrakete, schoss es ihr durch den Kopf, als sie den Balkon verließ, nur, um wie erstarrt stehen zu bleiben.
Josh! Er stand einfach nur so da und sah sie an. Valerie schluckte, dann blinzelte sie, nur um ganz sicher zu gehen, dass er nicht eine Ausgeburt ihrer Fantasie war. Er war nicht verschwunden. Und nun kam er langsam auf sie zu.
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte Valerie an ihm vorbei. Ihre Schulter prallte gegen seinen Oberarm und sie hörte, wie er vor Schmerz die Luft einsog.
Gut so, dachte sie grimmig.
Ohne innezuhalten schnappte sie sich eine fast volle Sektflasche von einem der Tische und rannte in die Nacht hinaus.
Kapitel 1
Es war ein heißer Juni-Abend, die Sonne knallte unbarmherzig auf die staubigen Asphaltstraßen der Großstadt und brachte die Luft vor Hitze zum Flimmern. Ihre schulterlangen hellbraunen Haare hatte Valerie zu einem strammen Pferdeschwanz hochgebunden. Doch das leichte Sommerkleid, das sie trug, klebte ihr unangenehm am Körper, während sie nach Hause schlenderte. Allein der Gedanke daran, in ihre stickige, einsame Wohnung zu kommen, in der niemand auf sie wartete, bereitete ihr fast körperliches Unbehagen.
Es war nun schon fast ein halbes Jahr her, dass Josh ausgezogen war. Ein halbes Jahr, in dem sie sich so sehr nach etwas Nähe gesehnt hatte, dass sie drauf und dran gewesen war, zum Hörer zu greifen, um ihn anzurufen. Nur ihr Stolz hatte sie davor bewahrt. Stattdessen hatte sie sich in die Arbeit gestürzt und unzählige Überstunden gemacht, nur um nicht Abend für Abend allein zu verbringen. Doch damit war jetzt Schluss, beschloss Valerie. Sie würde ihr Leben nicht noch weiter vergeuden.
Plötzlich fiel ihr ein kleines
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