Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
verschwunden, und es gab keine Macht auf Erden, die mich daran hätte hindern können, ihm zu folgen. Ich wusste nicht, wer oder was mich dort erwartete, als ich durch die Tür trat. Vielleicht eine Gruppe anderer Starzen? Oder gar die Zarin? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Und sosehr ich es mir auch vorzustellen versuchte, der Anblick, der mich drinnen erwartete, war höchst eigenartig, völlig unerwartet, und er zog mich sofort in seinen Bann.
Der Raum war mit niedrigen, scharlachrot und purpurn bezogenen Sofas möbliert und wurde von kostbaren Teppichen und Gobelins beherrscht, die so aussahen, als stammten sie aus den Basaren von Delhi. Über den Raum verteilt, ausgestreckt auf den Sofas und Chaiselongues, war vielleicht ein Dutzend Menschen, einer aufreizender gekleidet als der andere. Eine Frau, von der ich wusste, dass sie eine Gräfin und eine ehemalige Vertraute der Kaiserin war, die nach einem missglückten Besuch in Livadia – wo sie es gewagt hatte, Eira, dem hinterhältigen Terrier der Zarin, einen Fußtritt zu verpassen – in Ungnade gefallen war. Ein Prinz von königlichem Geblüt. Die Tochter eines der berüchtigtsten Sodomiten von St. Petersburg. Vier oder fünf jüngere Leute, etwa in meinem Alter, oder vielleicht auch ein wenig älter, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ein paar Prostituierte. Ein außergewöhnlich hübscher Junge, fast noch ein Knabe, dessen Gesicht mit Rouge und Lippenstift beschmiert war. Die meisten von ihnen waren nur halb bekleidet, mit aufgeknöpften Hemden und ohne Strümpfe an ihren Füßen, und manche hatten nur noch ihre Unterwäsche an. Durch den Dunst, der den Raum erfüllte und von meinen Sinnen Besitz ergriff, der mich benommen machte und mich gleichzeitig nach mehr gieren ließ, sah ich eine der Prostituierten auf einem Sofa sitzen, den Kopf eines Jungen in ihrem Schoß – der Junge war splitterfasernackt, und seine Zunge leckte zwischen ihren Schenkeln wie eine Katze an einer Untertasse voll Milch. Ich starrte auf die sich vor mir abspielende Szene, meine Augen weit aufgesperrt, hin und her gerissen zwischen Ekel und Verlangen, wobei mich Ersteres dazu drängte wegzulaufen, während mich Letzteres zwang dazubleiben.
»Freunde«, brüllte Vater Grigori, wobei er seine Arme weit ausbreitete und das Stimmengewirr im Raum sofort zum Verstummen brachte. »Meine lieben, über alles geschätzten Freunde, meine Getreuen und Vertrauten, ich möchte euch einen reizenden jungen Mann vorstellen, dessen Bekanntschaft ich zu meinem großen Glück habe machen dürfen. Georgi Daniilowitsch Jatschmenew, früher wohnhaft in dem Dorf Kaschin, einem elenden Kaff im Herzen unseres geliebten Vaterlandes. Er hat seine große Loyalität gegenüber der kaiserlichen Familie unter Beweis gestellt, wenn auch nicht, wie man sagen muss, gegenüber seinem besten Freund. Er ist schon seit einiger Zeit in St. Petersburg, hat aber immer noch nicht gelernt, sich zu amüsieren. Und das möchte ich heute Nacht ändern.«
Seine Gäste starrten mich an, die einen gelangweilt, die anderen desinteressiert, wobei sie weiterhin aus ihren Weingläsern tranken oder tiefe Züge aus den gluckernden Glaspfeifen nahmen, die zwischen ihnen herumwanderten. Und sie nahmen ihre Gespräche wieder auf, diesmal jedoch mit einem leisen, geflüsterten Murmeln. Sie hatten alle einen toten Ausdruck in ihren Augen. Das heißt, alle außer Vater Grigori. Der wirkte hellwach.
»Georgi, freust du dich, dass ich dich eingeladen habe?«, fragte er mich ruhig, wobei er mir den Arm über die Schulter legte und mich näher an sich heranzog, während er zu der Frau und dem Jungen hinüberschaute, die nun im gleichen Rhythmus zu zucken und zu stöhnen begannen. »Hier ist es doch viel netter als in dem alten, trübseligen Palast, oder?«
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte ich, wobei ich mich zu ihm hindrehte, um ihn anzuschauen. »Warum habt Ihr mich herbestellt?«
»Aber mein Lieber, du wolltest doch herkommen«, sagte er und lachte mir dabei ins Gesicht, als wäre ich irgendein Trottel. »Oder habe ich dich etwa bei der Hand genommen und durch die Straßen hierhergeführt?«
»Ich wusste ja nicht, wer mir die Karte geschickt hat«, erwiderte ich rasch. »Hätte ich es gewusst …«
»Du hast es sehr wohl gewusst, aber es hat dich nicht gekümmert«, sagte er und lächelte mich an. »Es ist dumm, sich selbst etwas vorzulügen. Lüg die anderen an, aber hüte dich davor, dich selbst anzulügen. Aber wie dem auch
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