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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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sei, komm, mein junger Freund, sei mir nicht mehr böse. Wir wollen hier keinen Streit haben, sondern nur Harmonie. Trink ein Glas Wein. Entspann dich. Lass dich unterhalten. Ich bin mir sicher, es gefällt dir hier, Georgi Daniilowitsch. Wenn du es schaffst, zu vergessen, wer du sein sollst, wenn du einfach der bist, der du sein möchtest. Oder sollte ich dich vielleicht Pascha nennen? Würde dir das besser gefallen?«
    Ich sperrte meine Augen weit auf. Schon seit Jahren hatte mich niemand mehr so genannt, und selbst damals war es immer nur mein Vater gewesen. »Wo habt Ihr diesen Namen gehört?«, fragte ich ihn. »Wer hat Euch das erzählt?«
    »Ich höre viele Dinge«, antwortete er, wobei er unvermittelt die Stimme erhob, ohne dass auch nur einer seiner Gäste vor Überraschung oder Schreck zusammenzuckte – sein Tonfall bebte vor Rechtschaffenheit und Ehrfurcht, als er sprach. »Ich höre die Stimmen der Bauern auf dem Feld, wie sie nach Gerechtigkeit und Gleichheit schreien. Ich höre das Schluchzen von Matuschka, wenn sie nachts wegen ihres kranken Sohnes weint. Ich höre alles, Pascha«, rief er. Seine Stimme wurde mitleiderregend und flehend, sein Gesicht war vom Schmerz zerfurcht, als er sich zu mir vorbeugte: »Ich höre das Geräusch ihres Atems, wie sie über ihre Schulter schaut und den Wagen auf sich zukommen sieht und weiß, dass er sie gleich überfahren wird, dass er ihr das Leben nehmen wird. Ich höre die Sünder in der Hölle, wie sie nach Erlösung schreien. Ich höre das Gelächter der Geretteten, wie sie sich im Paradies von uns abwenden. Ich höre das Stampfen der Stiefel der Soldaten, wie sie in den Raum stürzen, mit Gewehren, bereit zu schießen, bereit zu töten, bereit zu quälen …« An dieser Stelle hielt er inne und begrub sein Gesicht in den Händen. »Und ich höre dich, Georgi Daniilowitsch«, sagte er, wobei er die Hände von seinem Gesicht nahm und sie mir von beiden Seiten flach an den Kopf presste, seine Finger warm und weich auf meinen kalten Wangen. »Ich höre die Dinge, die du sagst, die Dinge, die du so verzweifelt zu verdrängen versuchst.«
    »Was für Dinge?«, fragte ich so leise, dass ich kaum noch zu vernehmen war. »Was sage ich? Was hört Ihr?«
    »Oh, mein lieber Junge«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Du sagst, Was ist geschehen? Wer hat da geschossen? «
    »Hier, nimm einen Schluck«, unterbrach uns eine Stimme zu meiner Rechten, und als ich mich umdrehte, stand der Prinz vor mir, ein Glas mit dunkelrotem Wein in der Hand. Ich sah keinen Grund, sein Angebot auszuschlagen, und führte das Glas auf der Stelle an meine Lippen und stürzte seinen Inhalt, ohne abzusetzen, herunter.
    »Sehr gut«, sagte Vater Grigori, wobei er mich anlächelte und meine Wange auf eine Weise streichelte, die in mir den Wunsch weckte, mich noch enger an seine Hand zu schmiegen, die Augen zu schließen und einzuschlafen. »Sehr gut, Pascha. Und jetzt setz dich, bitte. Ich möchte dich meinen Freunden vorstellen. Ich denke, es sind einige dabei, an denen du Gefallen finden dürftest.« Er griff nach einem Regalbrett, als er dies sagte, und holte von dort eine weitere Pfeife, die er dann über eine Flamme hielt. Dabei versengte er sich die Hand, doch er schien den Schmerz nicht zu bemerken, oder es kümmerte ihn nicht. »Das hier solltest du auch probieren, Georgi«, sagte er und reichte mir die Pfeife. »Es wird dich entspannen. Vertrau mir«, flüsterte er. »Du vertraust mir doch, Pascha, oder? Du vertraust deinem Freund Grigori?«
    Auf diese Frage gab es nur eine Antwort. Ich war wie hypnotisiert. Ich konnte spüren, wie Hände nach mir griffen und meinen Körper liebkosten. Die Prostituierte. Der Junge. Sie luden mich dazu ein, an ihrem Spiel teilzunehmen. Von der gegenüberliegenden Seite des Raums beobachtete mich die Gräfin und streichelte dabei ihre Brüste, die sie ohne irgendwelche Hemmungen vor mir entblößte. Der Prinz war vor ihr auf die Knie gesunken. Die anderen jungen Männer und Frauen flüsterten miteinander, sie rauchten und tranken und sahen zu mir herüber, während ich wegschaute und spürte, wie ich meinem Körper entstieg, als wäre er eine unnötige Last, wie ich mich fallen ließ, um mit dem Raum eins zu werden, um mich an ihrem ausgelassenen Treiben zu beteiligen. Als dann schließlich meine Stimme ertönte, klang sie kein bisschen wie meine eigene, vielmehr wie der Seufzer eines anderen, eines mir unbekannten Menschen, der sich aus einem weit

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