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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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leise, wobei ihre Wangen noch röter wurden, als sie seinen Namen erwähnte.
    »Dr. Fedorow?«, fragte ich. »Aber der ist doch ausschließlich für die Gesundheit deines Bruders zuständig. Wozu haben sie ihn gebraucht?«
    »Er hat Maria untersucht«, erwiderte sie. »Meine Eltern wollten wissen, ob sie … ob sie noch unberührt ist.«
    Mir fiel die Kinnlade herunter – ich konnte mir kaum vorstellen, wie entsetzlich das gewesen sein musste. Maria war erst vor wenigen Monaten siebzehn geworden. Eine dermaßen demütigende Untersuchung ertragen zu müssen, durch einen alten Mann wie Fedorow und mit ihren Eltern im Nebenraum – ich nahm jedenfalls an, dass sie sich im Nebenraum befunden hatten –, musste schrecklich gewesen sein.
    »Und ist sie …?«, begann ich, unschlüssig, ob ich die Worte aussprechen sollte.
    »Sie ist noch Jungfrau«, sagte Anastasia mit Nachdruck und schaute dabei wieder zu mir auf, mit einer grimmigen Miene, fest entschlossen, meinem Blick standzuhalten.
    Ich nickte und dachte einen Moment lang darüber nach, bevor ich einen Blick auf meine Uhr warf. »Und Sergei Stasjewitsch?«, fragte ich. »Wo ist er? Ist er schon aufgebrochen?«
    »Ja, vermutlich«, sagte sie und klang dabei ein wenig verwirrt. »Ich bin mir nicht sicher, Georgi. Aber du solltest jetzt nicht losziehen und nach ihm suchen. Es wäre nicht gut für dich, wenn man sieht, dass du Anteil an seinem Schicksal nimmst.«
    »Aber er ist mein Freund«, sagte ich und griff nach der Türklinke. »Ich muss ihn noch einmal sehen.«
    »Wäre er tatsächlich dein Freund, so hätte er dir von der Sache erzählt.«
    »Das ist unerheblich«, sagte ich mit einem Kopfschütteln. »Er wird verzweifelt sein. Ich kann ihn nicht fortgehen lassen, ohne mit ihm gesprochen zu haben. Ich habe schon einmal einen Freund verraten. Das wird mir nicht noch einmal passieren, egal was du sagst.«
    Sie sah mich an und machte den Eindruck, als wollte sie noch weiter protestieren, doch sie erkannte in meinen Augen eine Entschlossenheit, die der ihrigen in nichts nachstand, und so nickte sie schließlich verzagt.
    »Wir müssen von nun an sehr vorsichtig sein«, sagte sie, als ich die Tür öffnete. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie es herausbekämen. Wenn man uns trennen und dich wegschicken würde. Es darf nie jemand erfahren.«
    Ich eilte zu ihr und nahm sie fest in meine Arme, und sie begann zu weinen, um uns beide, aber auch um das gebrochene Herz ihrer Schwester.
    »Es wird niemand erfahren«, beruhigte ich sie, obwohl ich mir insgeheim große Sorgen machte, denn einer hatte es ja bereits herausbekommen.
    Ich machte mich auf die Suche nach Sergei Stasjewitsch und fand ihn, als er gerade den Palast verließ, bewacht von zwei anderen jungen Offizieren, guten Bekannten von uns beiden, mit denen wir uns an so manchem dienstfreien Abend gemeinsam betrunken hatten. Es war ihnen sichtlich unangenehm, dass man sie mit dieser Aufgabe betraut hatte. Ich bat sie, mich ein paar Minuten mit meinem Freund allein zu lassen, und sie willigten ein und traten ein paar Schritte zurück, damit wir uns ungestört voneinander verabschieden konnten.
    »Das darf nicht wahr sein«, sagte ich und sah in sein müdes, unglückliches Gesicht. Er hatte einen gehetzten Blick, so als könnte er noch immer nicht fassen, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte.
    »Es ist aber so, Georgi«, erwiderte er mit einem bekümmerten Lächeln.
    »Aber musst du uns wirklich verlassen? Werden sie …« Ich schaute hinüber zu unseren Kameraden, seinen Bewachern. »Werden sie dich unterwegs nicht irgendwo freilassen? Du könntest gehen, wohin du willst. Du könntest ein neues Leben anfangen.«
    »Das können sie nicht machen«, sagte er und zuckte die Achseln. »Damit würden sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Es wird mich jemand in Empfang nehmen und den Zaren von meiner Ankunft unterrichten. Die beiden haben schließlich ihre Befehle. Und auch ich möchte nicht ungehorsam sein. So leid es mir tut, aber ich muss mich von dir verabschieden, Georgi«, sagte er, wobei ihm vor Kummer beinahe die Stimme versagte. »Ich weiß nicht, ob ich dir wirklich ein guter Freund gewesen bin …«
    »Oder ich dir«, sagte ich schnell.
    »Vielleicht sind wir beide in Gedanken ja immer woanders gewesen. Kann das sein?« Er lächelte mich an, und ich spürte, wie ich erblasste. Er wusste es, keine Frage. Er wusste von mir, was ich auch von ihm hätte wissen können, wäre ich nur etwas aufmerksamer

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