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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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wandert mit einer großen Schar von Mönchen durch das Land der Mallas. Er ist jetzt nach Thuna gekommen.«
    Daraufhin füllten sie ihren Brunnen bis oben hin mit Gras und Spreu und flüsterten einander zu: »Dieses kahlköpfige Pack, diese Mönche, sollen nichts zu trinken finden!«
    Da verließ der Erhabene den Weg und setzte sich unter einen Baum, denn dort hatten ihm die Mönche einen Sitz aufgebaut.
    Sobald er saß, bat er den ehrwürdigen Ananda, seinen Lieblingsjünger: »Ich bitte dich, Ananda, hole mir aus dem Brunnen Wasser. Ich habe Durst und will trinken.« Da erwiderte der ehrwürdige Ananda seinem Meister: »O Herr, die Brahmanen und Bauern von Thuna haben diesen Brunnen soeben bis oben hin mit Gras und Spreu vollgestopft. Sie haben dabei einander zugeflüstert: ›Dieses kahlköpfige Pack, diese Mönche, sollen nichts zu trinken finden!‹« Der Buddha antwortete nicht auf diese Einwendung. Er gab zum zweiten Mal denselben Befehl und er erhielt von Ananda zum zweiten Mal dieselbe Antwort. Da gab der Vollendete den Befehl zum dritten Mal. Nun antwortete Ananda nur: »Ja, Herr!«, nahm seine Schale und ging zum Brunnen. Wie der ehrwürdige Ananda auf den Brunnen zuging, spie dieser alles Gras und alle Spreu aus. Ananda fand ihn bis oben hin mit reinem, ungetrübtem, klarem Wasser gefüllt. Es war so viel Wasser da, daß der Brunnen gleich überlaufen mußte. Da dachte der ehrwürdige Ananda bei sich: »Fürwahr, es ist wunderbar, es ist staunenswert, wie mächtig, wie gewaltig die Wunderkräfte des Erhabenen sind! Wie ich eben vorbeikam, war doch der Brunnen bis obenhin mit Gras und Spreu verstopft. Und…« Er schöpfte mit seiner Schale Wasser, brachte es dem Erhabenen und sagte: »Wunderbar fürwahr… Möge der Erhabene das Wasser trinken! Möge der Wohlwandelnde sich an dem
    Wasser erquicken!« Der Vollendete aber antwortete ihm mit dem Ausruf:
    »Fände ich überall Wasser,
    wozu wäre der Brunnen gut?
    Was bleibt noch zu suchen,
    wenn die Wurzel des Durstes vertilgt ist?«

    Der Spaßvogel und seine Bekehrung

    VOR ZEITEN war der Bodhisattva, der Heilige, der zukünftige Buddha, Herr über die dreiunddreißig Götter des Königs Shakra; denn auch die Götterkönige sind der Wiedergeburt unterworfen. Sein Palast stand auf dem Gipfel eines hohen Berges. In Benares aber, am heiligen Ganges, regierte damals König Brahmadatta. In einer späteren Verwandlung gehörte er zu den achtzig bedeutendsten Schülern Buddhas. Er trug den Namen Lakuntaka, und die Mönche nannten ihn nur den
    ehrwürdigen, den glücklichen Lakuntaka; denn er verkündete die Lehre mit einer schönen, eindringlichen Stimme, er kannte den »Korb der Lehrreden« und er hatte alle Leidenschaften getilgt. Aber er war sehr klein von Gestalt, er war ein Zwerg, und als die Mönche ihn zum ersten Mal sahen, erkannten sie ihn nicht. Sie hielten ihn für einen armen Wicht und trieben ihre Kurzweil mit ihm.
    Als sie den Meister fragten, warum der heilige Mann so unansehnlich geworden sei, erzählte er ihnen diese Geschichte:
    »Ihr wißt, daß der bußfertige Beter Lakuntaka in einem früheren Dasein König in Benares war. Dieser König
    Brahmadatta war in jungen Jahren ein böser Spaßvogel. Er hatte es vor allem auf die Alten abgesehen. Man konnte ihm keinen betagten Elefanten zeigen, kein altes Rind, keinen alten Klepper, er ließ sie sofort jagen und hatte seinen Spaß an ihrer Hilflosigkeit. Sogar alte Gewänder ließ er zerreißen. Wenn er alte Weiber sah, ließ er sie vor sich bringen, ließ sie auf den nackten Bauch schlagen und sie zu Boden werfen, und sie durften erst aufgehoben und hinausgetragen werden, wenn sie den höchsten Grad der Angst erreicht hatten; denn er wollte ihnen Furcht einjagen. Die alten Männer aber mußten vor ihm wie die Gaukler auf dem Boden turnen und miteinander balgen. Und wenn er die Uralten nicht selber fand, sondern nur hörte, daß da und dort einer sei, dann ließ er sie vor sich holen und trieb seine bösen Späße mit ihnen.
    Die Untertanen des Königs schämten sich vor ihren Eltern und schickten sie weit über die Grenzen des Reiches, um sie vor den Späßen des Königs zu bewahren. Und weil die Eltern außer Landes waren, konnte niemand mehr im Königreich des Brahmadatta die Mutter oder den Vater ehren. Die guten Werke blieben ungetan, niemand wurde in einer der
    Götterwelten wiedergeboren. Die Diener des Königs aber folgten dem Beispiel ihres Herrn; sie waren seine Handlanger und selber böse

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