Das Hausbuch der Legenden
Spaßvögel. Wenn sie starben, füllten sie einen der vier Straforte, je nach der Größe ihrer Untaten eine der Höllen oder die Tierwelt oder die Welt der büßenden Geister oder die Dämonenwelt.
Als Shakra sah, daß keine neuen Göttersöhne mehr zu ihm kamen, forschte er nach der Ursache. Und als er dabei die üblen Taten des Brahmadatta beobachtete, beschloß er, ihn zu zähmen. Zu diesem Zweck verwandelte sich der Götterkönig in einen uralten Mann. Dann ließ er auf einen alten Wagen zwei große Töpfe mit Molke stellen und zwei alte Ochsen davor spannen.
Als nun an einem hohen Feiertag der König Brahmadatta auf einem prunkvoll aufgeputzten Elefanten von rechts um die festlich geschmückte Stadt ritt, führte der in alte Lumpen gekleidete Shakra seinen Wagen auf denselben Weg und kam vor die Augen des Königs. Als Brahmadatta den alten Wagen sah, befahl er: »Bringt diesen Wagen weg!« Seine Diener und die Einwohner aber fragten ihn: »Welchen Wagen, Herr? Wir sehen keinen!« Shakra hatte es mit Hilfe seiner Wunderkraft nämlich so eingerichtet, daß nur der König ihn sehen konnte.
Darum konnten die Diener nichts gegen ihn unternehmen. Als er nahe genug an den König herangekommen war, richtete er sich hoch auf und zerschlug über dem Haupt des Brahmadatta erst den einen und dann den zwreiten Topf, so daß der König von oben bis unten besudelt war. Die Molke tropfte ihm von den Haaren, verklebte ihm die Augen, beschmutzte ihm die Hände, sie belästigte ihn überall, sie ekelte ihn an.
Als Shakra merkte, wie der Zorn des Königs langsam wuchs, ließ er seinen Wagen verschwinden und nahm wieder die Gestalt des Götterkönigs an. Plötzlich stand er mit seinem Donnerkeil in der Hand hoch in der Luft vor Brahmadatta und rief:
»Du bist ein böser, ein ungerechter König! Du treibst deinen Spott mit den alten Leuten. Glaubst du denn, daß du selbst niemals alt wirst? Auch dein Körper wird eines Tages müde und häßlich werden! Du hast deine Diener zu zahllosen Untaten verführt, sie müssen deshalb nach ihrem Tod die Straforte aufsuchen, statt in einer der Götterwelten wiedergeboren zu werden. Die jungen Menschen müssen
deinetwegen ihre Eltern über die Grenzen schicken und kommen nicht mehr zu ihren guten Werken. Wenn du deine bösen Späße nicht sofort aufgibst, dann werde ich dir mit meinem Donnerkeil das Haupt zerschmettern!«
Der mit Molke übergossene König stand bleich und zitternd vor dem Gott. Shakra aber zählte ihm alle Vorteile und alles Glück auf, die nur durch die Eltern über uns kommen können, und er sprach von den guten Werken, die nur einer sammeln könne, der die Alten ehrt. Dann kehrte er auf den Gipfel seines Berges zurück. Der König aber ließ von diesem Tage an seine Untaten, ja, er mied jeden Gedanken an seine früheren bösen Späße.«
Und der Meister, der völlig Erleuchtete, schloß die Erzählung dieser alten Begebenheit mit den Worten: »Der König von damals ist heute der glückliche Lakuntaka. Seine Spottsucht ist der Grund, warum er nun selbst zum Spott der anderen geworden ist. Der Shakra von damals aber bin ich selbst.«
Der Mann, der den Donner fing
CHIHISA-KO-BE NO SUGARU war der Leibkämmerer des
Yuryaku Tenno, eines japanischen Kaisers, der in alten Tagen durch dreiundzwanzig Jahrzeiten die Welt regierte. Pünktlich betrat er jeden Morgen die Große Ruhehalle, um dem Tenno zu dienen. Eines Tages aber hielt sich der Kaiser nicht an die Regeln der rituellen Enthaltsamkeit, und sein Leibkämmerer traf ihn unversehens dabei an, wie er mit der Kaiserin Umgang pflog. Im selben Augenblick schlug dröhnend der Donner ein.
Der Kaiser war beschämt, verängstigt und wütend. Er befahl dem Sugaru in scharfem Ton: »Ich lasse den Donnergott höflichst bitten, sofort vor mir zu erscheinen!« Der Leibkämmerer antwortete: »Ich will ihn bitten zu kommen.«
Sugaru nahm die Zeichen seiner Würde als hoher kaiserlicher Beamter, er wand die scharlachfarbene Kadsura um seine Stirn, ergriff den Speer mit dem roten Banner und bestieg sein schnellstes Roß. Er ritt eine der alten Straßen entlang, welche die Paläste des Tenno und die Tempel miteinander verbinden.
An einer Wegkreuzung hielt er an, betete kurz und rief dann so laut er konnte: »Der Tenno läßt den am Himmel dröhnenden Donnergott höflichst zu sich bitten!« Dann änderte er die Richtung, ritt auf einen anderen Tempel zu, verhielt sein Roß mitten im vollen Lauf und rief wieder. So sprengte er lange
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