Das Hausbuch der Legenden
Zeit hin und her und versuchte vergeblich Gehör zu finden.
Schließlich wurde er ungeduldig, weil sich nichts ereignete, und rief drohend: »Wenn du auch der Donnergott bist, warum willst du nicht hören, wenn der Tenno dich bittet!« Da schlug der Donner plötzlich dicht vor ihm ein und blieb liegen. Als Sugaru ihn sah, setzte er den Donner mit Hilfe himmlischer Dienstleute in eine Sänfte, ließ ihn in den Großpalast des Kaisers bringen und meldete dem Tenno: »Der Donnergott ist, wie du befohlen hast, vor dir erschienen.« Da leuchtete und blitzte der Donnergott, seine Augäpfel glühten, sein funkelndes Licht blendete alle. Der Tenno erschrak sehr, brachte dem Gott üppige Opfer und entließ ihn wieder an den Ort, von dem er gekommen war. Dieser Ort wurde von nun an auf Befehl des Kaisers Donnerhügel genannt.
Als Sugaru starb, wurde er vom Tenno hoch geehrt. Der Leichnam wurde sieben Tage und sieben Nächte aufgebahrt, und der Kaiser ließ seine Treue besingen. Er wurde auf dem Donnerhügel begraben, und der Kaiser ließ dort eine Säule errichten mit der Inschrift: »Grab Sugarus, der den Donner fing.« Das erboste den Donnergott; er fuhr dröhnend herab und zertanzte und zerstampfte das Grab. Dabei zersplitterte die Säule, der Donner wurde eingeklemmt und war zum zweiten Mal gefangen. Der Tenno ließ ihn wieder befreien. Nun blieb der Donner sieben Tage und sieben Nächte bei dem Grab, ohne zu sterben. Der Kaiser aber befahl, eine neue Grabsäule zu errichten mit der Inschrift: »Grab des Sugaru, der im Leben und im Tod den Donner fängt.«
Keine Schuld ohne Sühne
IM FERNEN JAPAN, im Lande Yamato, im Gau Sofu no kami, in einem Weiler hoch im Gebirge, lebte ein Bauer, der Herr eines Hofes. Es war im zwölften Monat des Jahres. Darum stützte er sich auf eine Hokwo-Sutra, meditierte und tat Buße für seine Sünden. Dann rief er einen seiner Dienstleute und befahl ihm, einen Zen-Meister zu holen. Der Mann fragte: »Aus welchem Tempel soll ich einen Meister zu dir bitten?« Der Herr antwortete: »Es ist nicht notwendig, daß du bis zu einem Tempel läufst. Bitte den ersten, dem du begegnest!« Der Bote ging, fand einen Asketen bei seinen strengen Übungen und brachte ihn nach Hause. Der gutgläubige Herr brachte dem Priester Speisen und was er sonst nötig hatte, und als sie ihre Sutralesung tief in der Nacht beendet hatten, brachte er eine Decke und legte sie sorgsam auf den Meister.
Der Priester aber dachte bei sich: »Ich weiß nicht, was ich morgen für ein Almosen bekomme. Sicher ist es besser, jetzt die Decke zu nehmen und heimlich zu verschwinden.« Da hörte er plötzlich eine Stimme: »Stiehl die Decke nicht!« Er erschrak sehr und sah sich argwöhnisch im ganzen Hause um, ohne einen Menschen zu sehen. Nur in der Scheuer stand ein Ochse. Als der Priester zu ihm hinging, fing der Ochse plötzlich an zu reden: »Ich bin der Vater des Hausherrn. Ich habe in einem früheren Leben meinem Sohn heimlich zehn Bündel Reis genommen, die ich verschenken wollte. Darum trage ich jetzt als Ochse meine Schuld ab. Du hast Haus und Hof verlassen, um als Mönch zu leben. Gerade du solltest nicht leichtfertig sein und stehlen! Wenn du mir nicht glaubst, dann mache mir einen Sitz zurecht. Ich werde dann hinaufsteigen, und jeder mag wissen, daß ich der Vater des Hausherrn bin.«
Da schämte sich der Priester sehr, ging wieder an seinen Schlafplatz zurück und begab sich zur Ruhe. Als am nächsten Morgen die geistlichen Übungen beendet waren, bat er den Hausherrn, alle Dienstleute wegzuschicken. Dann erzählte er den nächsten Angehörigen, was er in der Nacht erlebt hatte.
Der Patron war erschüttert. Er ging gleich zu dem Ochsen, machte einen bequemen Hochsitz aus Stroh und sagte: »Wenn du wirklich mein Vater bist, dann komm und setze dich!« Da fiel der Ochse auf die Knie und ließ sich auf dem Sitz nieder.
Den Angehörigen aber kamen die Tränen, sie schluchzten laut auf und sagten: »Er ist wirklich unser Vater!« Und alle zeigten ihm ihre Ehrerbietung und sagten zu dem Ochsen: »Wir wollen dir gern verzeihen, daß du den Reis genommen hast. Wir erlassen dir diese Schuld.« Als der Ochse das hörte, kamen ihm die Tränen, er seufzte tief auf und verschied noch am selben Tag um die Stunde des Affen. Der Mönch aber erhielt die Decke, Geld und viele andere Geschenke. Dann sammelten sie alle Verdienst und Tugend für den Vater, damit er einst in einer besseren Wiederverkörperung in die Welt kommen könne.
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