Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
braucht man sie zum Lügen. Zweitens, um Giftpfeile aufeinander zu schießen. Drittens, um über Dinge zu diskutieren, die es gar nicht gibt.«
    »Und was ist mit denen, die es gibt?«
    Ich hob den Finger.
    »He-he, was soll das? Warum zeigst du mir den Finger?«
    »Ich zeige dir nicht den Finger. Der Finger zeigt dir etwas. Über das, was existiert, muss man nicht diskutieren. Es ist da, vor deiner Nase, du kannst es sehen. Es genügt, mit dem Finger darauf zu zeigen.«
    Mehr wurde an dem Abend nicht gesprochen. Doch ich wusste, die ersten Samenkörner waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Die nächste Gelegenheit würde sich bieten.
     
    Sollte unsere Art, Liebe zu machen, irgendjemandem pervers erscheinen (Schweifbefleckung hat er es genannt – joi! ein unvergessliches Wort), so empfehle ich, genauer hinzuschauen, was Menschen sich dabei antun. Erst waschen sie ihre Körper, entfernen die Haare, sprühen sich Essenzen auf, die den natürlichen Geruch ausmerzen (das regte den Grafen Tolstoi immer besonders auf, erinnere ich mich) – und das alles, um kurzzeitig fuckable zu sein. Nach dem Liebesakt versinken sie gleich wieder in die peinlichen Petitessen der persönlichen Hygiene.
    Außerdem genieren sich die Menschen ihrer Körper oder sind damit unzufrieden: Die Männer pumpen ihre Bizepse auf, die Frauen nehmen gewaltsam ab und lassen sich Silikonprothesen einsetzen. Plastische Chirurgen haben sich extra eine Krankheit dafür ausgedacht: Mikromastie – das ist, wenn die Brüste Melonengröße unterschreiten. Den Männern wiederum wird angeboten, ihren Penis zu verlängern, und damit er hinterher wieder funktioniert, bekommen sie spezielle Pillen verkauft. Ohne einen Krankheitsmarkt gäbe es keinen Arzneimittelmarkt – das ist das hippokratische Geheimnis, das nicht auszuplaudern die Ärzte schwören müssen.
    Der menschliche Liebesdrang ist ein extrem instabiles Gefühl. Ein dummer Satz, ein schlechter Geruch, ein unkorrekt aufgetragenes Make-up, ein zufälliger Darmkrampf, was nicht noch – und die Liebe ist dahin. Das kann blitzartig geschehen, keiner hat es in der Hand. Überhaupt wohnt diesem Trieb wie allem Menschlichen eine bodenlose Absurdität inne, und der Geist überwindet den tragikomischen Abgrund nur deshalb mit so viel Leichtigkeit, weil er von seiner Existenz nichts weiß.
    Die beste Beschreibung für diesen Abgrund, an die ich mich erinnern kann, lieferte ein roter Kommandeur im Herbst 1919; ich hatte ihn mit Lachpilzen bewirtet, buchstäblich neben den Rädern seines Panzerzuges aus dem Sand geklaubt. Er drückte sich so aus: »Irgendwie leuchtet mir nicht mehr ein, wieso ich, nur weil ich das Gesicht eines Mädchens edel und schön finde, unbedingt ihre feuchte, wollige Möse ficken muss!« Das ist auf die grobe, männliche Art gesagt, aber das Wesen ist trefflich erfasst. Übrigens hat der Mann, bevor er auf ewig im Felde entschwand, noch einen weiteren interessanten Gedanken von sich gegeben: »Wenn ich es recht bedenke, hängt die Anziehungskraft einer Frau weniger von ihrer Frisur oder von der Beleuchtung ab als vom Zustand meiner Eier.«
    Die Menschen haben trotzdem Sex miteinander – wenn auch in den letzten Jahren meist nur noch mit einem Gummisäckchen dazwischen, damit ihre Einsamkeit nicht in Gefahr gerät. So wird dieser ohnehin fragwürdige Sport immer mehr zu einer Art Abfahrtslauf: mit vergleichbar hohem Risiko, nur dass der Fahrer weniger auf den Pistenverlauf achtgeben muss als darauf, dass er den Skianzug nicht verliert. Ein Mensch, der sich solcher Beschäftigung hingibt, kommt mir als Moralist lächerlich vor; darüber zu urteilen, was pervers ist und was nicht, steht ihm einfach nicht zu.
    Die Leidenschaft, die Werwesen füreinander empfinden, hängt nicht so sehr von flüchtigen Äußerlichkeiten ab – obwohl auch die natürlich eine gewisse Rolle spielen. Dass das, was Alexander zugestoßen war, auf unsere intimen Beziehungen Einfluss haben würde, hatte ich vermutet. Doch das Trauma war unerwartet tief. Alexander war immer noch zärtlich zu mir, doch an einer bestimmten Grenze machte er Halt: Wo die Zärtlichkeit früher fließend in Intimität übergegangen war, schien jetzt eine Barriere aus Stacheldraht errichtet zu sein. Vielleicht glaubte er in der neuen Gestalt kein Interesse mehr bei mir finden zu können. Und ganz von der Hand zu weisen war der Gedanke nicht: Ich hätte lügen müssen, wenn ich hätte behaupten wollen, dass die schwarze Töle bei mir

Weitere Kostenlose Bücher