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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Mühe, ihn nicht zu erschrecken, ließ meine Jeans herunter, löste den Schweif …
    Hach, was war das für ein Abend! Nie zuvor hatten wir uns so tief fallengelassen. Früher während unserer Liebeshalluzinationen hatte ich doch immer noch gewusst, wo ich mich befand und was geschah. Was ich diesmal erlebte, ließ mich für Momente vollkommen vergessen, wer ich war: die Frau aus Hongkong mit dem russischen Namen Su (na gut, Flugzeuge heißen hier so) oder ein russischer Werfuchs mit dem chinesischen Namen A Huli. Ein paarmal bekam ich einen richtigen Horror – so als hätte ich mir ein Ticket für die schärfste amerikanische Achterbahn gekauft.
    Der Grund lag bei Alexander. Von ihm ging diesmal eine so gewaltige hypnotische Welle aus, dass ich nicht widerstehen konnte. Zumindest für kurze Zeit erlag ich selbst einer Halluzination, versank restlos in ihr. Einmal biss er mich sanft ins Ohrläppchen und sagte: »Nicht schreien.« Dabei hatte ich überhaupt nicht bemerkt, dass ich schrie. Mit einem Wort, es war der totale Flash. Erst jetzt konnte ich verstehen, was bei unseren Kunden jedes Mal abging, wenn wir unseren Schweif zum Einsatz brachten. Die Menschen hatten wahrlich allen Grund, sich vor uns in Acht zu nehmen! Andererseits, wenn ich gewusst hätte, mit was für Extremerfahrungen wir sie beglückten, ich hätte mindestens das Dreifache dafür verlangt.
    Als das Ganze vorüber war, blieb ich neben ihm auf der Matte liegen und ließ mir Zeit, mich wieder einzukriegen. Es war, als wäre der ganze Körper ertaubt – die Blutzirkulation musste erst wieder in Gang kommen. Schließlich fühlte ich mich auch zum Sprechen wieder in der Lage. Er hatte sich in der Zwischenzeit zum Menschen zurückverwandelt.
    »Hats dir gefallen?«, fragte ich.
    »Ach, doch. Gute Überwachungskameras. Und der Regisseur scheint auch nicht ganz blöd zu sein.«
    »Ich rede gerade von was anderem.«
    »Wovon denn?«, fragte er und zog verwundert eine Braue nach oben.
    Es war zu merken, dass er guter Laune war.
    »Davon, Alex, davon.«
    »Ach so, da-a-von … Na, wenn wir grad da-a-von reden: Mir hat das eine Lied besonders gut gefallen. Könnten wir das nicht noch mal laufen lassen?«
    »Welches meinst du?«
    »Ja, sieh paar Zahnlos-Dias.«
    »Hä?« Ich zog die Stirn kraus.
    »Der Text geht so ähnlich«, sagte er ein bisschen verlegen. »Natürlich singt er was anderes, aber es klingt genau so.«
    »Paar Zahnlos-Dias? Was soll das denn … Ah! Ich weiß: Y así pasan los días, y yo desesperando … Das ist spanisch und heißt: So vergehen die Tage, und ich bin verzweifelt …«
    »Ach ja?«
    »Und du dachtest wahrscheinlich, Lichtbildervortrag im Seniorenheim …«
    »Mach du nur immer deine Witze«, sagte er friedfertig. »Legen wirs noch mal ein? Am besten gleich noch mal den ganzen Film …«
    Am nächsten Tag guckten wir den Film schon wieder, und so noch viele Male. Und jedes Mal wurde dieser Wirbelsturm der Gefühle aufs Neue entfacht und räumte die Seele so wonniglich leer wie beim ersten Mal. Anschließend lagen wir lange beieinander und ruhten aus. Dabei wurde nicht geredet – es gab nichts zu bereden, und zum Sprechen fehlte ohnehin die Kraft.
    Mir gefiel es, meine Sohlen an ihn zu legen, wenn er zum schwarzen Knäuel zusammengerollt lag – der Form halber knurrte er manchmal, doch wusste ich, es war ihm genauso angenehm wie mir. Mit welch zärtlichen Gefühlen ich heute an diese Tage zurückdenke! Es ist so wunderbar, wenn zwei Geschöpfe einen Weg finden, einander Glück und Freude zu schenken. Und was muss einer für ein Frömmler sein, um sie deswegen anzuprangern, nur weil sie es ein wenig anders tun als andere!
    Wie viele dieser seligen Augenblicke mögen es gewesen sein, die wir erschöpft beieinander auf der Matte lagen, nicht imstande, uns zu rühren? Ich meine, zusammengenommen eine ganze Ewigkeit. Jedes Mal löste die Zeit sich auf, und bis sie wieder in ihr übliches Maß zurückgefunden hatte, das konnte dauern. Wie klug das Leben doch eingerichtet ist, dachte ich mit träger Befriedigung, während Nat King Cole unser Lieblingslied sang. Erst war da einer, groß, grau und grob, wollte unbedingt die Sonne verschlingen. Hätte es vermutlich auch zuwege gebracht. Und lag nun als friedliches schwarzes Hündchen zu meinen Füßen, still und zahm, darum bittend, nicht ausgelacht zu werden. Da war er, der wohltuende Einfluss der Frau als Hüterin des heimischen Herdes. Von wo Kultur und Zivilisation ihren Ausgang

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