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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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verbratenen Gehirne. In so einem Zustand hat der Mensch wirklich keine anderen Sorgen mehr, als sich entscheiden zu müssen, ob er lieber zuerst die Mama fickt oder den Papa killt. Alles sehr einleuchtend, solange genug Kokain da ist. Und mit dem Nachschub scheint es damals keine Probleme gegeben zu haben.«
    »Ich rede doch gar nicht von …«
    »Aber solange du deine Dosis von drei Gramm pro Tag nicht überschreitest«, sprach ich einfach weiter, »hast du weder Ödipuskomplexe noch irgendeine andere von seinen vielen Entdeckungen zu befürchten. Wenn ich damit anfange, mich bei der Analyse meines Verhaltens auf die freudschen Theorien zu stützen, kann ich auch gleich in die Kaktustrips von Carlos Castaneda einsteigen. Bei dem ist wenigstens Herz dabei und Poesie. Dieser Freud hingegen hat nur seinen Kneifer, zwei Lines auf dem Büfett und das Zipperlein im Schließmuskel. Die Bourgeoisie liebt ihn gerade seiner Schweinigeleien wegen. Für sein Talent, die ganze Welt aus Arschhöhe zu sehen.«
    »Ich verstehe nicht: Warum sollte die Bourgeoisie ihn gerade deswegen lieben?«
    »Weil die Portfolio-Manager Propheten brauchen, die ihnen die Welt in ihren eigenen Begriffen erklären. Und sie ein ums andere Mal beruhigen, dass der objektiven Realität, in die sie so viel Geld investiert haben, keine Gefahr droht.«
    I Huli sah mich an – ein wenig spöttisch, wie mir schien.
    »Und was meinst du«, fragte sie, »liegt der Tendenz, die objektive Realität zu ignorieren, eine sexuelle Deprivation zugrunde oder nicht?«
    »Hä?«, machte ich.
    »Anders gesagt: Bist du auch der Meinung, dass vor allem solche Leute die Welt als Illusion betrachten, die mit ihrem Sexleben nicht klarkommen?«
    Dies war eine Weltsicht, der man hier im National häufig begegnen konnte. Nach dem Motto: Nur Loser mit sexuellen Komplexen flüchten sich vor dem fröhlichen Treiben des Marktes in Mystik und Obskurantismus. Solches von einsam auf dem Bett herumkrauchenden Kunden zu hören war besonders lustig. Vor allem wenn man bedachte, dass sie es all die anderen Tage genauso trieben – nur dass statt eines Fuchsschweifes die Financial Times für die Anschubanimation sorgte und die Einsamkeit nicht wie in meiner Gegenwart relativ, sondern absolut war … Dass aber nun ausgerechnet mein Schwesterlein solchen Theorien das Wort redete, war stark. Ein Beispiel dafür, was die Konsumgesellschaft aus uns macht.
    »Die Sache verhält sich gerade umgekehrt«, entgegnete ich. »In Wirklichkeit lässt die Neigung, zwischen geistigem Streben und sexuellen Problemen einen Zusammenhang zu konstruieren, auf die Frustration des analen Libidovektors schließen.«
    »Wie das?«, fragte I Huli und hob verwundert die Brauen.
    »Na eben so. Die so reden, gehören in den Arsch gefickt. Weil sie es sich nicht selber machen können, was insgeheim schon immer ihr Wunsch war.«
    »Und was soll das bringen?«
    »Wenn sie sich auf das konzentrieren, wovon sie was verstehen, hören sie auf, über Dinge zu reden, von denen sie keine Ahnung haben. Den Schweinen hat der liebe Gott keinen Hals gegeben, mit dem es sich in den Himmel gucken lässt. Was noch lange nicht heißt, dass der Himmel eine sexuelle Neurose ist.«
    »Aha … Hast du das von deinem Wolf?«
    Ich schwieg.
    »Verstehe«, sagte Schwesterlein I. »Darf man ihn sich denn mal ansehen?«
    »Woher so plötzlich das Interesse?«, fragte ich argwöhnisch.
    »Bloß keine Eifersucht!«, sagte sie lachend. »Ich bin einfach neugierig, an wem dein Wohlgefallen sich entzündet hat. Außerdem bin ich noch nie einem Werwolf begegnet, weiß nur vom Hörensagen, dass sie im Norden vorkommen sollen. Das Überwertier, zu dem du mir ständig Vorträge hältst, ist übrigens auch eher Wolf als Fuchs. Meint jedenfalls mein Mann. Und in seiner Loge Rosa Abendlohe sehen das alle so.«
    Ich seufzte nur. Es war einfach unbegreiflich, wie diese I Huli, die in manchen Dingen so scharfsinnig war, sich in anderen wiederum so dumpf und traumwandlerisch verhalten konnte. Wie oft sollte ich es ihr noch erklären? Ich beschloss, keinen Streit anzufangen. Stattdessen fragte ich: »Du glaubst wohl, mein Alexander könnte der Überwerwolf sein?«
    »Wenn ich es recht verstehe, ist das Überwertier kein einfacher Wolf. Es ist vom Wolf genauso weit entfernt wie ein Werfuchs. Aber es ist auch kein Mittelding zwischen Werwolf und Werfuchs. Es geht weit über den Wolf hinaus.«
    »Das ist mir unklar«, sagte ich. »Über den Wolf hinaus, was soll das

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