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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Ausrichter des Spektakels so fest glaubte wie vor einer Minute noch ich. Da war nichts, was die Kriminalpolizei auf den Plan rufen konnte.
    Elegant und gediegen das Ganze, ohne die geringste Unglaubwürdigkeit. Ein Meisterwerk der Planung. Auch wenn ich dieser Sportart selbstverständlich nichts abgewinnen konnte, musste ich der Schwester Anerkennung zollen. Und zweifellos war I Huli die weitbeste Jägerin, keine Kontrahentin konnte ihr das Wasser reichen. Ich räusperte mich respektvoll.
    »Steht schon fest, wer der Nächste sein wird?«
    »Ach, man schaut sich um … Es gibt schon ein paar fabelhafte Ideen, ganz überraschende darunter.«
    »Zum Beispiel?«
    I Huli blinzelte und hob mit kristallklarem Stimmchen zu singen an: »Don't question why she needs to be so free …«
    »Mick Jagger?«, ächzte ich. »Wie kannst du an so was auch nur zu denken wagen!«
    »Wieso nicht?«, entgegnete sie ungerührt. »Er ist doch neuerdings Sir Mick. Legitimate target. Und sag bloß, dich rührt diese Zeile immer noch an? Ich finde, es klingt längst nach Flugzeugträgerreklame für die Royal Navy.«
     
    Lord Cricket war ein Mann von unbestimmtem Alter. Und Geschlecht, mochte man der Genauigkeit halber hinzufügen. Schwesterlein I zufolge entstammte er einer Sippe angestammter Militärs, was sein Äußeres jedoch überhaupt nicht erkennen ließ. »War hero or she ro« war das Erste, was mir bei seinem Anblick einfiel, trotz Kahlkopf und Goateebärtchen. Und sein Gesichtsausdruck sprach Bände: Man meinte zu sehen, wie er als Jugendlicher nach Licht und Freiheit gestrebt hatte, um dann, gescheitert bei dem Versuch, den Panzer aus Pflichtgefühl und Selbstbeherrschung zu durchbrechen, zur personifizierten Sprechblase mit Fragezeichen zu erstarren. Verdruss und Befremden, zur Grimasse geballt.
    Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd mit breiter, zartgrün schillernder Krawatte. Am Aufschlag seines Jacketts blitzte ein kleiner runder Sticker: Es hätte das Mao-Emailleabzeichen sein können, das zu tragen in China einmal Vorschrift gewesen war, doch statt Mao grinste einen Aleister Crowley an. (Die Auskunft kam von I Huli, ich hätte den britischen Obersatanisten gewiss nicht erkannt.)
    Alexander und Lord Cricket begegneten einander mit gespannter Aufmerksamkeit. Beim Anblick der Uniform lächelte der Lord. Ein Lächeln von erstaunlicher Art: mit einer winzigen Spur Ironie darin, die sich doch beim besten Willen nicht übersehen ließ. Über Jahrhunderte musste dieser Rasen gestutzt und gepflegt worden sein … Alexander schniefte nervös, als er den Lord erblickte, seine Augen verengten sich, und ein Schatten glitt ihm übers Gesicht, wie die Erinnerung an etwas Unangenehmes.
    Anfangs fürchtete ich, die beiden könnten sich anstänkern. Doch sehr bald entwickelte sich zwischen ihnen ein Smalltalk über den Nahen Osten, den schiitischen Terrorismus und das Ölgeschäft. Ich muss ein bisschen verbiestert dreingeschaut haben, denn Lord Cricket stellte mir die klassische Frage: »Warum lächelt ihr Russen so wenig?«
    »Weil es nicht lohnt. Wir müssen uns um unsere Konkurrenzfähigkeit keine Sorgen machen«, erwiderte ich grimmig. »Wo wir doch die geborene Loser-Nation sind.«
    Eine Braue von Lord Cricket schnellte nach oben.
    »Jetzt übertreiben sie aber!«, sagte er.
    Trotzdem schien meine Antwort ihn befriedigt zu haben, er wandte sich wieder Alexander zu, um das unterbrochene Gespräch fortzusetzen.
    Ich vergewisserte mich, dass sie bei belanglosen Themen blieben, und kümmerte mich als Nächstes um den Videoprojektor, den wir extra im Business-Center unseres Viertels entliehen hatten. Eine esoterische PowerPoint-Präsentation mochte etwas Skurriles an sich haben, doch war die menschliche Esoterik im Ganzen längst derart profaniert, dass kein Microsoft ihr noch etwas anhaben konnte.
    Während wir die Technik zum Laufen brachten, gab ich wieder einmal der Versuchung nach, Schwesterlein I ein paar moralische Grundsätze einimpfen zu wollen.
    »Du kannst dir nicht vorstellen«, fing ich schnell und leise zu reden an, um in den wenigen zur Verfügung stehenden Sekunden so viel wie möglich nützliche Informationen unterzubringen, »welch entlastende Wirkung Kants kategorischer Imperativ für die Seele hat. Mir sind geradezu Flügel gewachsen, als ich begriff – jaja, lach du nur -, dass der Mensch für uns nicht immer nur Mittel zum Zweck sein muss. Er kann auch das Ziel sein!«
    I Huli verzog das

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