Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
»Hast du schon dein Testament gemacht?« – »Bist du lebensmüde?« – das sind üblicherweise die ersten Reaktionen, wenn man erzählt, dass man regelmäßig mit der Mitfahrzentrale reist. Für viele ist es unvorstellbar, sich zu fremden Leuten ins Auto zu setzen und sein Schicksal in fremde Hände zu legen. Schließlich ist so eine Fahrt im überfüllten ICE – bei dem nur hin und wieder die Klimaanlage ausfällt – auch viel schöner.
In der Tat weiß niemand, wer beim Mitfahren neben einem Platz nimmt. Ein Draufgänger, in dessen Auto man um sein Leben fürchten muss? Stinkt der Nachbar auf der Rückbank so nach Schweiß, dass man vier Stunden lang nur durch Schnappatmung überlebt? Oder textet einen der Beifahrer nonstop zu, bis die Ohren qualmen?
Gleichzeitig macht aber genau das den Reiz aus: Man trifft Leute, denen man sonst niemals über den Weg laufen würde – einen unbeholfenen jungen Priester, eine als medizinisch-technische Assistentin getarnte Domina oder einen echten Weltenbummler. Nicht selten ereignen sich an Bord aber auch die verrücktesten Sachen: Die Sitznachbarn prügeln sich, gefährliches Gepäck taucht auf, und manch einer soll schon die große Liebe gefunden haben.
Ich habe meine Freundin zwar nicht an Bord kennen gelernt, aber trotzdem war sofort klar, dass ich sie mit der Mitfahrzentrale besuchen würde. Sie wohnte in Straßburg, ich in München. 360 Kilometer. Zwei Jahre Fernbeziehung – und ich fuhr jedes Mal mit fremden Leuten zu ihr. Das ist billiger als der Zug und umweltfreundlich sowieso, weil sich dabei bis zu fünf Leute zusammentun.
Außerdem ist die Mitfahrzentrale unkompliziert. Bei mehreren Anbietern im Internet kann man sich eine Fahrt aussuchen, ruft den Fahrer an und vereinbart einen Treffpunkt. Aber Mitfahrzentralen gibt es nicht erst seit dem Internetzeitalter, sondern schon seit den 1950er-Jahren. Damals hießen sie allerdings noch »Benzingast-Organisation«. Fahrer und Mitfahrer trafen sich im Büro der Mitfahrzentrale, wofür diese eine Vermittlungsgebühr kassierte. Solche stationären Anbieter gibt es vereinzelt auch heute noch.
In den zwei Jahren habe ich viele schöne, lustige, skurrile, aber auch traurige Geschichten beim Mitfahren erlebt. Und nicht nur ich, sondern auch Freunde, Bekannte und alle meine Fahrer und Mitfahrer.
Seit ein paar Monaten hat meine Freundin einen neuen Job in München, wir wohnen in einer gemeinsamen Wohnung. Die Zeit der Fernbeziehung ist vorbei – und damit auch die regelmäßigen Mitfahrgelegenheiten. Doch immer wenn wir Freunde in Hamburg, Berlin oder Straßburg besuchen, nehmen wir Mitfahrer mit. Denn die krassesten Geschichten erlebt man nunmal an Bord einer Mitfahrgelegenheit …
Ordentlich Party machen in Hamburg – das ist genau das, worauf Jupp so richtig Bock hat. Raus aus der Kleinstadt im Rheinland, rein ins Spaßgetümmel der Hansestadt. Sofort hat er seine Kumpels Harry und Christian für seinen Plan gewonnen. Jetzt brauchen sie nur noch einen Fahrer. Denn die drei sind erst 17, keiner hat einen Führerschein. Aber Jupps Schwester Katharina schon.
Erst ziert sie sich. Ein Wochenende mit ihrem jüngeren Bruder und dessen beiden Kumpels? Das endet doch sowieso nur in einer üblen Sauferei. Und sie ist mittendrin und darf sich um ihren besinnungslosen Bruder kümmern. Schließlich lässt sie sich doch überreden. In Hamburg studiert nämlich eine ihrer besten Freundinnen. Die hat sie schon seit vier Monaten nicht mehr gesehen. Höchste Zeit, sie mal zu besuchen. Sollen sich die Jungs derweil ruhig auf der Reeperbahn abschießen.
Ein Platz in Katharinas altem Golf ist noch frei. Die vier beschließen, über die Mitfahrzentrale noch einen Mitfahrer zu suchen. Dann wird’s für alle billiger. Am Tag vorher ruft eine Steffi bei Jupp an. Sie studiert in Köln, kommt aber aus Hamburg, sehr gerne würde sie mitfahren. Gebongt. ›Die zahlt nicht nur für die Fahrt, sondern hört sich auch ganz nett an‹, denkt Jupp. Perfekt.
Doch nicht nur das. Als Steffi in den Golf steigt, machen die drei Jungs ganz große Augen. ›Die ist ja ultraheiß‹ – ›So ein Gerät habe ich noch nie gesehen.‹ In der Tat, Steffi ist wirklich äußerst attraktiv. Sie hat schulterlange, blonde Haare, trägt ein enges, figurbetontes Top mit Spaghettiträgern und einen recht kurzen Rock. Ihre ellenlangen Beine und die Arme sind braungebrannt. Für Jupp und seine Kumpels ist Steffi die absolute Traumfrau.
Sofort ist klar,
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