Das Herz aus Eis
beobachteten, wie die Schläfen einsanken, die Nase merkwürdig spitz und die Mundwinkel verkrampft und faltig wurden.
»Er stirbt«, flüsterte der Inspektor und sah Collins an. »Pech gehabt, Kollege. Das Rätsel des Schusses ohne Geschoß bleibt ewiges Geheimnis. Hätte mich selbst interessiert, wie man Menschen ohne Kugeln erschießt …«
Der Verwundete rührte sich und stöhnte leise auf. Gespannt beugte sich Collins über ihn. Unter den geschlossenen Lidern schienen sich die Augen zu bewegen.
»Fenton«, rief Collins leise und tastete vorsichtig nach seiner Hand. »Fenton … hören Sie mich …?«
Collins fühlte, wie seine Hand leicht gedrückt wurde. Er brachte sein Ohr ganz nahe an die Lippen Fentons.
»Wasser …«, röchelte er. »Bitte … Wasser …«
»Wasser, schnell!« rief Collins und jagte den Inspektor auf, der fasziniert zugesehen hatte. »Er kommt zu sich. Los, Kollege, schnell …«
Inspektor Santos eilte zum Wasserhahn, füllte ein Glas und rannte zum Bett zurück. Vorsichtig, in kleinen Schlucken flößte Collins dem Verwundeten das Wasser ein und stützte ihm dabei den Kopf.
Tief atmete Fenton durch, verzog jedoch sofort schmerzhaft das Gesicht. Mit der einen Hand tastete er über den Brustverband. Behutsam ließ ihn Collins zurück in die Kissen gleiten und beugte sich wieder über ihn.
Jack Fenton öffnete nun die Augen und starrte Collins an. Erkennen blitzte in seinen matten Augen auf. »Hey, Collins«, flüsterte er schwach. »Kenne Sie … habe mir vor einem Jahr in New York alle zeigen lassen, die Jagd auf mich machten! Daß Sie hier sind, wundert mich nicht … nachdem man mich verpfiffen hat … Verdammte Weiber!« Er schloß die Augen und atmete röchelnd.
»Fenton«, sagte Collins mit eindringlicher Stimme. »Fenton … Sie haben noch ein Geständnis zu machen … oder wollen Sie so von dieser Erde gehen? Fenton …«
Der Sterbende öffnete langsam die Augen. Er lächelte schief. »Es ist zu Ende?« fragte er.
»Ja«, antwortete Collins ehrlich.
»Und was kommt dann?«
»Die Gerechtigkeit des Himmels, Fenton. Auf Erden haben wir keine Macht mehr über Sie … Ihre Tat werden Sie vor Gott zu verantworten haben. Nur eines müssen Sie uns noch verraten: Wie haben Sie Valeria Thurner erschossen?«
Jack Fenton atmete mühsam. Durch die Erinnerung an den Mord schienen seine Lebensgeister mobilisiert zu werden. Seine rechte Hand fuhr nervös zitternd über die Bettdecke.
»Ich habe sie gehaßt«, flüsterte er. »Gehaßt, wie nur ein Liebender hassen kann, wenn seine Liebe mit Spott vergolten wird. Alle durften sie sehen … zu allen war sie freundlich, reizend, hatte für jeden ein nettes Wort …« Er röchelte. »Und dreien … ich habe sie beobachtet … drei Männern hat sie gehört … Nächtelang stand ich vor ihrem Haus, sah die Liebhaber am frühen Abend kommen, sah, wie die Lichter im Schlafzimmer verlöschten, und dann kamen sie gegen Morgen wieder heraus … nach einer Nacht in den Armen Valeria Thurners. Oh … einen jeden dieser Männer hätte ich erschießen können. Aber ich stand und wartete … ließ Spott über mich ergießen und duckte mich wie ein herrenloser, von allen geprügelter Hund. Dann lauerte ich ihr im Atelier auf … da beschimpfte sie mich, nannte mich einen Trottel und grünen Jungen und schlug mir voll ins Gesicht. An diesem Tag beschloß ich, sie zu ermorden!«
Erschöpft hielt er inne, rasselnd ging sein Atem, fahle Blässe überzog sein abgemagertes Gesicht.
»Und dann mieteten Sie das Zimmer bei Mr. Vaeso, weil Sie wußten, daß das Toilettenfenster Einsicht in das Badezimmer Valeria Thurners gab. Von diesem Standpunkt aus erschossen Sie Valeria Thurner«, ergänzte Collins.
Der Sterbende nickte.
»Ja, ich beobachtete gewissenhaft den Lebensrhythmus dieses Teufels. Immer badete sie um die gleiche Zeit. Da kaufte ich mir ein Luftgewehr. Aus Blech fertigte ich mir zusätzlich eine dünne, schmale Hülse an, füllte sie mit Wasser und legte sie in den Kühlschrank von Mr. Vaeso. Nach ein paar Stunden war das Wasser gefroren, ich nahm den Eiszapfen aus der Form, schabte ihn zu einer spitzen Patrone und lud damit das Luftgewehr. Das alles verlangte genaueste Zeiteinteilung, weil Eis so schnell schmilzt. Und dann …«, er richtete sich auf, sank aber laut stöhnend wieder zurück, »dann saß ich am Fenster, sah Valeria nackt im Bad vor mir … eine herrliche Frau, herrlicher als ein Traum … sah, wie sie ihre Brust mir
Weitere Kostenlose Bücher