Das Herz der 6. Armee
schielte verstohlen zu der Pannarewskaja hinüber … sie stand neben Dr. Körner und hatte auch die Hände gefaltet.
Und wir sind Kommunisten, dachte Dr. Sukow. Wir sagen: Religion ist Opium fürs Volk … Wie nötig haben wir manchmal Opium. – Er warf die ersten Steine in den Granattrichter und trat dann zurück. Stein um Stein wurde geworfen … wer von den Verwundeten gehfähig war, kam an den Trichter gewankt und wälzte seinen Stein über die Toten.
Als der Trichter aufgefüllt war, steckte Knösel ein großes Kreuz aus verbrannten schwarzen Deckenbalken in den Steinhaufen.
»Herr, Dein Ratschluß ist uns Menschen oft unverständlich …«, sagte Pastor Sanders leise, als das Kreuz stand … »aber wir beugen uns ihm, denn Du wirst es gutmachen. Einst hast du die Waffen gesegnet, die der Freiheit dienten … segne uns jetzt, die wir die Freiheit verloren haben …«
Mit einem strahlend blauen Himmel und einer glänzenden, silbernen Wintersonne begann der neue Tag. Der 30. Januar 1943 – Der Wehrmachtsbericht meldete darüber lakonisch:
»In Stalingrad ist die Lage unverändert. Der Mut der Verteidiger ist ungebrochen …«
Der Reichspressechef gab an diesem Tage für die gesamte deutsche Presse folgende Tagesrichtlinie heraus:
»1. Im Zeichen äußerster Entschlossenheit und fester Siegeszuversicht gestaltet die deutsche Presse die heutige Ausgabe des 30. Januar 1943 zu einem eindrucksvollen und mitreißenden Appell an die deutschen Volksgenossen …«
An diesem Tage gab der Chef des Generalstabes der 6. Armee, General Schmidt, eine Antwort, die man nie vergessen sollte, wenn der Name Stalingrad fällt, denn hier wurde der Wahnsinn zur Methode. Im Keller des Kaufhauses Univermag sitzend, empfing General Schmidt den verzweifelten Anruf eines Panzerkorps-Chefs. Er bat um Einstellung des sinnlosen Kampfes. General Schmidt antwortete:
»Wir kennen die Lage … der Befehl lautet: Es wird weitergekämpft!«
»Aber womit?« schrie der Oberst der Panzertruppen. »Was sollen wir ohne Munition tun?!«
Und General Schmidt antwortete:
»Ihre Soldaten haben doch Messer und Zähne. Sie sollen beißen!«
Nach dieser Antwort begingen die Offiziere des Panzerkorps Selbstmord …
Im Führerhauptquartier wurde die ›Machtübernahme‹ gefeiert. Die Generäle gratulierten und brachten Toaste aus. Der Reichsmarschall Hermann Göring, verantwortlich für die mangelhafte Luftversorgung der 6. Armee im Kessel Stalingrad, hielt eine Rede über alle deutschen Sender.
»… Wir haben die Russen bisher geschlagen, wir werden sie auch wieder schlagen …«, rief er mit seiner hellen Fanfarenstimme. Und: »… Aus all diesen gigantischen Kämpfen ragt nun gleich einem gewaltigen Monument der Kampf um Stalingrad heraus. Es wird der größte Heroenkampf in unserer Geschichte bleiben. Was dort jetzt unsere Grenadiere, Pioniere, Artilleristen, Flakartilleristen und wer sonst in dieser Stadt ist, vom General bis zum letzten Mann, leisten, ist einmalig. Mit ungebrochenem Mut und doch zum Teil ermattet und erschöpft, kämpfen sie gegen eine gewaltige Übermacht um jeden Block, um jeden Stein, um jedes Loch, um jeden Graben …« Und am Ende der Rede: »… Wenn die Sonne wieder hoch steht, wird sie die deutschen Truppen wieder im Angriff finden, genauso wie im vorigen Jahr …«
Und am gleichen Tag schrien Zehntausende bei der Rede des Reichspropagandaministers Dr. Goebbels im Berliner Sportpalast: »Führer befiehl – wir folgen dir …!«
Generaloberst Paulus wurde an diesem Tage zum Generalfeldmarschall befördert. Um die gleiche Stunde sprach Hitler mit seinen Generälen über die Aufstellung einer neuen 6. Armee. Der Grabkranz für 330.000 Soldaten war die Ernennung ihres Kommandeurs zum Feldmarschall.
Am diesem 30. Januar 1943 feierten auch die Sowjets … am Mittag zogen über die Ruinenstadt Stalingrad, unter einem strahlenden Himmel, sowjetische Fliegergeschwader in Paradeformation vorüber. Ein paarmal wiederholten sie die Luftparade, eine Demonstration ihrer Macht und der Ohnmacht der verhungerten, sterbenden, in Löchern und Kellern hockenden Reste einer zermahlenen deutschen Armee.
Die Offiziere des Armee-Oberkommandos starrten in den glänzenden Himmel und schwiegen betroffen. Feldmarschall Paulus saß in seinem Keller … jetzt, in den letzten Stunden, war es in ihm so leer, daß er überhaupt nichts mehr begriff. Er stand einem Schicksal gegenüber, das über seinen Begriff reichte.
An diesem Morgen wurde
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