Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
Liebste Tempest,
gerade war ich in Deinem Zimmer, habe Dein Bett gemacht und mir alle Deine Mädchen-Sachen angesehen. Ich habe Deinen zarten Duft eingeatmet und mich gefragt, wie ich den nächsten Abschnitt meines Lebens ohne Dich aushalten soll. Ich weiß, dass Du mein Geheimnis kennst, aber ich glaube nicht, dass Du wirklich verstehst, was es bedeutet. An jedem Tag, den ich an Land verbringe, schaue ich aufs Meer und sehne mich nach dem Leben, das ich einmal gelebt habe.
Aber wenn ich im Wasser bin, schaue ich aufs Land und sehne mich nach Euch. Nach Dir, nach meinen Söhnen und nach meinem Mann.
Als ich Deinen Vater heiratete und Dich und Deine Brüder zur Welt brachte, als ich mich für das Leben an Land entschied, glaubte ich, dass diese Sehnsucht vergehen oder zumindest erträglich werden würde, selbst wenn sie nicht völlig verschwände.
Doch der Schmerz, den ich empfinde, ist nicht zu ertragen.
Ich habe das Gefühl, in so viele Stücke zerrissen zu sein, dass ich niemals wieder eins werden kann - zumindest nicht hier, an Land. Ich erzähle Dir das nicht, weil Du Verständnis für mich haben sollst, mir ist klar, dass das kaum möglich ist, sondern weil Du bald selbst gezwungen sein wirst, eine solche Wahl zu treffen.
Du hast schon jetzt besondere Gaben - Deine Neigung zum Wasser und Deine Fähigkeit, stark zu bleiben, wo andere aufgeben würden und es wird die Zeit kommen, in der Dir noch viele weitere geschenkt werden. Es ist alles sehr kompliziert, viel komplizierter, als ich es je erwartet hätte. Und es gibt vieles, was ich Dir sagen möchte, Dir aber nicht sagen kann. Also muss ich mich hiermit begnügen.
Wenn die Zeit kommt und Deine Gaben sich in ihrer ganzen Fülle bemerkbar machen - irgendwann nach Deinem siebzehnten Geburtstag wirst Du anfangen Dich zu verändern. Du wirst drei Monate Zeit haben, Dich zu entscheiden: Du kannst festhalten an dem, was Dir vertraut ist, oder so werden wie ich. Denn beides kannst Du nicht haben. Wenn es so weit ist, wenn die Wandlung einsetzt, wirst Du eine wilde Sehnsucht nach dem Meer verspüren und Du wirst sicher ängstlich und verwirrt sein. Auch wenn es in den Beziehungen zwischen Wassernixen und Menschen ziemlich kompliziert zugeht, werde ich zu Dir zurückkommen, sofern es irgendwie möglich ist. Ich werde Dir helfen, auch wenn ich weiß, dass Du jede Aufgabe bewältigen kannst, die sich Dir stellt.
Egal, ob Du Dich für meinen Weg entscheidest oder für den Deines Vaters, Du sollst wissen, dass ich Dich immer lieben werde. Das hier ist kein Abschied für immer, sondern nur ein Bis bald.
Ich liebe Dich,
Mom
Erster Teil
»Die Ewigkeit beginnt und
endet mit den Gezeiten des Meeres.«
ANONYM
P ROLOG
Ich war zehn, als ich sie das erste Mal sah. Ich erinnere mich noch gut daran, weil meine Mutter auf den Tag genau zwei Wochen später fortging - an meinem elften Geburtstag.
Wir waren bei einem Surfwettbewerb auf Hawaii. Damals trat mein Vater noch als Surfprofi an und es war spät, so spät, dass der Mond wie eine riesige verführerische Vanilleeiskugel am Himmel hing. Sein Leuchten war mehr, als mein vorpubertäres Herz ertragen konnte, also schlüpfte ich in meinen Badeanzug und aus der Tür, sobald die Babysitterin von meinen jüngeren Brüdern abgelenkt wurde.
Ich nehme an, jede vernünftige Erklärung für diese Nacht sollte mit dem Umstand anfangen, dass ich ein Wasserbaby bin. Ich wurde buchstäblich im Wasser geboren, damals, als das neu und angesagt war. Einige Ärzte hatten erklärt, dass es für Babys weniger traumatisch wäre, in warmes Wasser hineingeboren zu werden, es sei fast wie im Mutterleib, und bei mir scheint es funktioniert zu haben. Ich erinnere mich logischerweise nicht mehr daran, aber mein Dad sagt, ich hätte nicht einmal geweint. Ich sei einfach ins Wasser gerutscht, als wäre es mein Zuhause. Und in vielerlei Hinsicht ist es das immer noch - trotz der Geschichte, die mir vor all den Jahren zugestoßen ist.
Nachdem ich mich aus dem Haus geschlichen hatte, das meine Eltern in einer ziemlich merkwürdigen Ecke von Kauai gemietet hatten, ging ich zum Meer hinunter. Die beiden waren auf einer großen Party und feierten wieder einmal einen Sieg meines Vaters, während die ziemlich inkompetente Babysitterin, die der Babysitter-Service geschickt hatte, mit uns dreien schlicht überfordert war. Dass ich fehlte, merkte sie erst, als meine Eltern nach Hause kamen und nach mir fragten.
Doch ich mache ihr
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