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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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›Mitte‹. Das alles lag nun weit hinter ihnen … sie marschierten in die Stille hinein, in die verschneite Steppe, marschierten eng aufgeschlossen, ein kleiner geballter Haufen, mitten durch die sowjetischen Reserven.
    Wir schaffen es, dachten sie alle. Wir schaffen es! In vierzehn Tagen haben wir Anschluß an die eigenen Truppen, dann sind wir am Donez.
    Man hat sie erst bei Aufräumungsarbeiten am 10. Februar wiedergesehen. Russischen Bautrupps, die die Eisenbahnlinien wieder ausbesserten, fiel ein kleiner Schneehügel mitten in der Steppe auf. Wo kein Baum, kein Strauch, keine Erhebung ist, hat ein Hügel nichts zu suchen.
    Man grub ihn auf und fand unter dem vereisten Schnee vierundzwanzig deutsche Soldaten. Sie saßen nebeneinander, in einem engen Kreis. Leib an Leib, mitten in ihnen, als Kern, vier Offiziere. Sie hatten versucht, sich bei einem Schneesturm mit 45 Grad Kälte gegenseitig zu wärmen, hatten eine Burg aus ihren Körper gebildet und gehofft, den heulenden Schneesturm zu überleben. So waren sie gestorben, erstarrt zu einem Denkmal. Ihre Gesichter in dem blanken Eis schienen zu leben, ihre Augen starrten die Russen, die sie ausgruben, fragend an.
    Man hackte die Körper voneinander, lud sie auf einen Lastwagen und fuhr sie zu den Massengräbern, warf sie zu den anderen deutschen Leichen und schob die Gräber mit großen Planierraupen zu. Im Frühjahr wuchs wieder Gras darüber. Rußlands Erde war groß genug … in ihr konnte eine Armee verschwinden, ohne daß man es merkte …
    Sie krochen durch die Trümmer und Ruinen, von Trichter zu Trichter, tiefer in die Stadt hinein, dem Roten Platz entgegen, an dessen einer Seite, im Keller des Kaufhauses ›Univermag‹, das Armee-Oberkommando den totalen Zusammenbruch in stumpfer Hilflosigkeit erwartete. Oberst von Haagen kroch seinem General tapfer nach, Seite an Seite lagen sie am Rand einer breiten Straße. Vor ihnen ratterte ein dunkler Koloß über den Asphalt. Ein russischer Panzer, der die ausgestorbenen Ruinen kontrollierte.
    General Gebhardt schien der Panzer wenig zu kümmern. Er machte Anstalten, auf die Straße hinauszutreten. Von der Haagen wagte es, ihn am Ärmel festzuhalten. Er keuchte von dem schnellen Vorwärtslauf.
    »Herr General … wo ist denn die Division?« fragte er. Gebhardt erhob sich. Noch schützte ihn ein Mauervorsprung.
    »Wir sind ja mitten drin, von der Haagen –«
    »Wir sind … Wieso?« Der Oberst sah sich um. »Ich habe noch keinen unserer Leute gesehen …«
    »Sie rechnen mit zuviel Beteiligung, Herr Oberst.« General Gebhardt schob die Maschinenpistole vor die Brust und entsicherte sie. Der Panzer rollte langsam über die leere Straße. »Die Division sind wir –«
    »Wir?«
    »Ja, wir zwei! Meine Division –«
    In Oberst von der Haagen explodierte das Herz. Er begriff, was in wenigen Sekunden geschehen würde, er begriff die Ausweglosigkeit, er sah seinen Tod auf sich zurollen. Ein Koloß aus Stahl, 34 Tonnen schwer, mit einem langen Geschützrohr.
    »Herr General!« schrie er. »Das dürfen Sie nicht tun! Herr General … ich habe eine Frau und zwei Kinder …«
    »Ich habe drei, von der Haagen. Ich hatte drei. Mein ältester Sohn fiel bei Minsk.« Er ruckte an dem Sturmriemen seines Stahlhelmes. »Laden Sie ihre MP durch, von der Haagen. Ein deutscher Offizier stirbt nicht kampflos …«
    »Herr General …« Von der Haagen lehnte an der Hauswand. Tränen rannen ihm über das eingefallene Gesicht und froren sofort zu kleinen, hellen Kugeln. »Ich flehe Sie an …«
    »Lassen Sie uns jetzt nicht über Schuld und Sühne diskutieren, von der Haagen.« General Gebhardt machte einen Schritt auf die Straße. Noch sah ihn der Panzer nicht. »Kommen Sie … oder bringen Sie es fertig, mich allein gehen zu lassen?! Oberst … was haben Sie als Kadett schon gelernt?«
    »Ich … ich …« Von der Haagen entsicherte seine Maschinenpistole. »Lassen Sie mich meine Fehler anders sühnen!« brüllte er heiser.
    »Nein! Kommen Sie!« Gebhardt winkte. »Die Schuldigen vergessen zu leicht, wenn sie in Sicherheit sind. Zielen Sie auf den rechten Sehschlitz – ich nehme die Turmluke …«
    Durch die Trümmer hetzte eine dritte Gestalt auf sie zu. Eine Leuchtkugel erhellte plötzlich die Straße, den Panzer, den deutschen General, der seine MP gegen den stählernen Koloß hob, den deutschen Oberst, der aus der Deckung einer Mauer schwankte wie ein Betrunkener.
    »Zurück!« schrie Dr. Portner und rannte wie besessen.

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